
1944-2025
Nachrufe und Erinnerungen
Blendend ausgebildet als klassischer Philologe, was dem sub auspiciis-Kandidaten gemäß damaliger Regelung zu seiner Anstellung verholfen hatte, trieb Robert Pichl mit diesem Werkzeug in Editorik, Texterschließung und Bibliographie germanistische Grundlagenforschung, aus der seine interpretatorischen Arbeiten erwuchsen. Lange Zeit arbeiteten wir gemeinsam im Erschließungsprojekt barocker Predigtliteratur. Ich habe ihn sehr gemocht, ohne dass wir im engsten Sinn Freunde geworden wären.
Er war da, als ich ans Institut kam, und ich ging, kaum dass er weg war. So schien mir, es waren acht Jahre später, er war wegen fortgesetzter Lehre noch häufig am Institut. All die Zeit war er mein unmittelbarer Kollege, von der Hanuschgasse ins Hauptgebäude Büronachbar, der Mitstreiter der morgendlichen Appelle an Werner Welzigs Besprechungstisch, der gutwillige Helfer bei Mittelbauangelegenheiten, der Tischgenosse bei so vielen Mittagessen („Ah, deins schaut gut aus, des hätt i nehmen sollen“). Seinen unendlichen Zitatenschatz benutzte er zuverlässig, „Franz – auch das haben wir geschafft!“ blieb seine Begrüßungsformel, angelehnt an Qualtingers Herrn Karl.
Neben dem fruchtbaren Philologen Robert Pichl bleibt ein mit Witzen nie geizender Unterhalter in Erinnerung. Roberts gelegentliches Aufbrausen war nicht selten bloße Maske von Empfindlichkeit, denn dahinter steckte ein redlicher, hilfsbereiter Mann. Sein Arbeitsumfeld hat es ihm nicht leicht gemacht, seine Familie und das Haus auf dem Land ihm als Gegenpol gedient. Möge er die Belohnung geniessen, die sein Glaube ihm versprach.
Lieber Robert,
es waren bewegte Jahrzehnte am Institut für Germanistik – von den Siebziger bis zu den Nuller-Jahren und Du warst ein wackerer Mitstreiter.
Ein letzter Dank und Gruß von
Lieber Robert,
danke für deine Unterstützung und Hilfe, für deine Kollegialität und deine Wertschätzung. Ich habe viel von dir gelernt – Germanistisches, Politisches, Lebensbedeutsames. Wir haben oft geblödelt und gelacht. Ich sehe dich mit deiner Pfeife und höre dich einen Limerick vortragen oder eine Anekdote erzählen oder von der Orgel in Perchtoldsdorf schwärmen. Du hattest so viele Seiten wie Interessen, eine große Liebe zur Literatur und zum Leben. Du fehlst mir am Institut schon lange und jetzt endgültig Abschied nehmen zu müssen, ist sehr, sehr traurig. Mögest du glücklich sein, wo immer du jetzt bist.
Mit feministischen Grüßen,
Deine Susi
Lieber Robert!
Paris, IVG-Kongress im Spätsommer 2005. Da sind wir gemeinsam durch die Stadt gegangen. Neben Dir, Deinem Wissen und Deinem Standing in der Germanistik habe ich mich damals sehr klein gefühlt, und das Einzige, was mir zunächst Mut gemacht hat, war, dass ich Paris aufgrund eines früheren Studienaufenthalts etwas besser kannte als Du. Bald aber ist mir klar geworden, dass Du von hierarchischem Denken nichts gehalten hast. Es waren sehr schöne und geistig bereichernde Stunden. Später habe ich Dich allerdings nur mehr selten gesehen, meistens dann, wenn ich Margarete Wagner besucht habe, mit der Du ja befreundet warst (und die mittlerweile auch bereits im Ruhestand ist). Lebe wohl! Ich weiß übrigens nicht mehr, ob wir 2005 auch die Katakomben von Paris besucht haben oder nur das Plakat davon studiert haben, aber der Gedanke an die Katakomben passt jetzt natürlich – leider – sehr.
Ein Hauch von Pfeifentabak schwebt über dem langen Gang im kurioserweise „Zweites Zwischengeschoss“ benamsten Teil des Instituts für Germanistik der Universität Wien, und ich weiß: Robert ist in der Nähe. Das war wohl in den längst vergangenen Tagen, als Rauchen an der Uni noch erlaubt war. Oder vielleicht auch später? Robert hat sich zum Glück um gewisse Dinge nie gekümmert.
Und dann traf man sich, und redete und blödelte und tratschte und sprach über Privates und Universitäres, über Literatur und scheinbar wichtigere Dinge, die aber vielleicht gar nicht wichtiger waren.
Und 1999 waren wir, eine größere Wiener Truppe, bei einer Grillparzer-Konferenz, die Robert mitorganisiert hatte, an der City University of New York, mit Blick auf den Bryant Park, in den glücklichen Zeiten vor 9/11 und vor Donald Trump.
Und einmal haben wir eine Art Lyrik-Zettelpoesie-Wettbewerb im Männer-Klo im ersten Zwischengeschoss durchgeführt, von Robert initiiert, Helmut Birkhan ist aufgesprungen, und dann noch ein paar andere Poeten. Einige Wochen großer Spaß. Unser poetischer Multilog ist der Nachwelt zum Glück erhalten geblieben, weil ihn Helmut archiviert und 2006 gemeinsam mit anderen Exempla einer fröhlichen Wissenschaft in dem Büchlein Germanistisches Narren=Häubel als „literaturforum am piss-ort“ herausgegeben hat. Fände ich das grüne Büchlein im Chaos meines Arbeitszimmers, könnte ich einige der kaustischen Verse Roberts zitieren.
Roberts niemals bösartiger, aber ausgeprägter Witz, seine Ironie, aber auch seine wissenschaftliche Expertise haben unserem Institut lange Zeit eine ganz spezielle Duftnote verliehen. Auch noch nach seiner Pensionierung. Viel zu selten haben wir uns nach deiner Pensionierung gesehen. Und viel zu wenig habe ich dir wohl gesagt, wie sehr ich mich immer gefreut habe, dich zu treffen.
Lieber Robert,
Begegnungen mit Dir in den Wandelgängen des Instituts waren immer ein Labsal, und was immer gerade zu tun war, eine Recherche, eine Sprechstunde, eine LV, dieses akademische Viertel wollte man sich stehend oder ambulant nicht entgehen lassen. Manchmal, wenn nicht Unaufschiebbares zu tun war, wurde aus dem einen ein zweites oder drittes Viertelstündchen, und man war immer bereichert im Wissen um die Vergangenheit unserer Wissenschaft im allgemeinen, insbesondere die Vergangenheit unsres Instituts, aufgeklärt darüber, wie alles so geworden ist, wie es ist und ebenso gleich auch über die Lage der Nation, bereichert aber auch durch Deine Heiterkeit des Vermittelns, wenngleich Deine treffsicheren Resümees immer dort ihr Ziel fanden, wo der Humor am dunkelsten ist: im Schwarzen. Gewiss darf ich im Plural sagen: Wir vermissen Dich!
Curriculum vitae
- Geb. 8.9.1944 in Wien
- 1962 – 70 Studium der Germanistik, Klass. Philologie und Philosophie an der Univ. Wien
- 1970 Promotion zum Dr. phil.; Lehramtsprüfung für Deutsch und Latein
- Seit 1970 Assistent am Institut für Germanistik, seit 1972 Univ. Lektor
- 1976 – 1979 wiss. Angestellter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Kommission für literarische Gebrauchsformen. Obmann: Werner Welzig).
- 1979 Wiss. Beamter am Inst. f. Germ.
- Seit 1981 Konsulententätigkeit für die wiss. Benützung des Ingeborg Bachmann – Nachlasses an der Österreichischen Nationalbibliothek.
- 1989 bis 1995 Leitung der kritischen Edition der späten Prosa Ingeborg Bachmanns („Todesarten“ – Projekt).
- Seit 1995 Assistenzprofessor.
Publikationsverzeichnis
Selbständige Publikationen
- Dualismus und Ambivalenz. Die Dramenschlüsse Schillers und Grillparzers als Indizien individueller Vorgangsgestaltung. Wien: Braumüller 1972 (= Wiener Arbeiten z. dt. Literatur, Bd 4)
Editionen
- 1. Ingeborg Bachmann: Gier. Fragment. Aus dem literarischen Nachlaß hg. v. Robert Pichl, in: Der dunkle Schatten, dem ich schon seit Anfang folge. Ingeborg Bachmann – Vorschläge zu einer neuen Lektüre des Werks. Wien: Löcker 1982, S. 17-69
- 2. Ingeborg Bachmann: Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers. (Dissertation Wien 1949). Aufgrund eines Textvergleiches mit dem literarischen Nachlaß hg. v. Robert Pichl. München – Zürich: Piper 1985
- 3. Ingeborg Bachmann: „Todesarten“ – Projekt. Kritische Ausgabe. Unter Leitung von Robert Pichl, hg. von Monika Albrecht u. Dirk Göttsche. 4 Bde. München: Piper 1995
Mitherausgabe selbständiger Publikationen
- 1. Katalog gedruckter deutschsprachiger katholischer Predigtsammlungen. Hg. v. Werner Welzig unter Mitwirkung v. Robert Pichl u.a. Bd I (1984); Bd II (1987). Wien: Verlag der Österreichische Akademie der Wissenschaften 1984-87
- 2. Grillparzer und die europäische Tradition. Londoner Symposium 1986. Hg. v. Robert Pichl u.a. Wien: Hora 1987 (Zugleich: Publications of the Institute of Germanic Studies. Univ. of London. Vol. 41)
- 3. Kritische Wege der Landnahme. Ingeborg Bachmann im Blickfeld der neunziger Jahre. Londoner Symposium 1993 zum 20. Todestag der Dichterin. Hg. v. Robert Pichl und Alexander Stillmark. Wien: Hora 1994 (Zugleich: Publications of the Institute of Germanic Studies. Univ. of London. Vol 60)
- 4.Ingeborg Bachmanns „Todesarten“ – Projekt. Neue Teilregistratur des literarischen Nachlasses in der Österreichischen Nationalbibliothek. Unter Leitung von Robert Pichl hg und erarbeitet von Monika Albrecht und Dirk Göttsche. Wien: edition präsens 1995
Mitherausgabe von Periodika
- Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft. 3. Folge, 12 (1976). Gem. mit Klaus Heydemann (= Festgabe für Herbert Seidler)
- Jb. Gr.-G. 3. F., 15 (1983).
- Jb. Gr.-G. 3. F., 16 (1984/85/86)
- Jb. Gr.-G. 3. F., 17 (1987-90).
- Jb. Gr.-G. 3. F., 18 (1992). Gem. mit Hubert Reitterer (= Jubiläumsband zum 200. Geburtstag Franz Grillparzers und zum 100jährigen Bestehen der Grillparzer-Gesellschaft).
- Jb. Gr.-G. 3. F. 19 (1996) mit dem Themenschwerpunkt „Grillparzer und die Musik“
Abhandlungen
- – Probleme des künstlerischen Aufbaues in den Dramen Franz Grillparzers, in: Jb. d. Grillparzer-Gesellschaft. 3. Folge, IX (1972), S. 127-146
- – Das Bild des Kindes in Wolfgang Borcherts Prosa, in: Jb. für Internat. Germanistik 1976, Reihe A, Bd 2,3, S. 469-474
- – Zur Dokumentation der deutschsprachigen katholischen Predigtliteratur vom späten 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Probleme ihrer Durchführung und wissenschaftlichen Auswertbarkeit, in: Jb. für Volkskunde 1980, S. 166-193
- – Rhetorisches bei Ingeborg Bachmann, in: Jb. für Internationale Germanistik 1981, Reihe A, Bd 8,2, S. 298-303 (= Akten des VI. Internat. Germanistenkongresses, Basel 1980)
- – Ingeborg Bachmanns literarischer Nachlaß. Geschichte, Bestand und Aspekte seiner wissenschaftlichen Auswertbarkeit, in: Der dunkle Schatten … Wien: Löcker 1982, S. 199-213
- – Überlegungen zu den Begriffen „Volk“ und „volkstümlich“ in der katholischen Predigt der Barockzeit, in: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Hg. W. Brückner – P. Blickle – D. Breuer. Wolfenbüttel: Herzog August-Bibliothek 1985, S. 509-526
- – Das Wien Ingeborg Bachmanns. Gedanken zur späten Prosa. In: Modern Austrian Literature (Bachmannsonderband) Bd 18 (1985), S. 183-194
- – Sinnenfrohe Weltflucht. Das `Mirantische Flötlein‘ des Laurentius von Schnüffis als ästhetisches Medium barocker Seelsorgepraxis. In: Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Intern. Germanistenkongresses Göttingen 1985. Bd 8: Ethische contra ästhetische Legitimation von Literatur. Tübingen: Niemeyer 1986, S. 24-35
- – Dr. phil. Ingeborg Bachmann. Prolegomena zur kritischen Edition einer Doktorarbeit. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft. 3. Folge, Bd 16
- (1984/85/86), S. 167-188
- – Tendenzen der neueren Grillparzerforschung, in: Grillparzer u. d. europäische Tradition. Londoner Symposium 1986 … S. 145-158
- – Editionsprojekte und -desiderata zur Neueren deutschen Literatur in Österreich, in: editio 2 (1988), S. 73-85
- – Verfremdete Heimat – Heimat in der Verfremdung. Ingeborg Bachmanns „Drei Wege zum See“ oder die Auflösung eines topographischen Irrtums. In: Begegnung mit dem Fremden. Grenzen – Traditionen – Vergleiche. Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses Tokyo 1990. Bd 9, S. 447-454
- – Das antinationalistische Programm in Grillparzers Dramenwerk. In: Giovanni Scimonello (Hg.): Franz Grillparzer e la crisi mitteleuropea. Milano 1992, S. 83-95
- – Ingeborg Bachmanns Privatbibliothek. Ihr Quellenwert für die Forschung. (In: Ingeborg Bachmann – Neue Beiträge zu ihrem Werk. Internationales
- Symposion. Münster 1991. Hg. v. Dirk Götsche und Hubert Ohl. Würzburg: Königshausen & Neumann 1993, S. 381-388)
- – Ingeborg Bachmanns „Offene Kunstwerke“. Überlegungen zu ihrem poetischen Verfahren, in: Kritische Wege der Landnahme. Ingeborg Bachmann im Blickfeld der neunziger Jahre (….), S. 99-113
Aktivitäten
Forschungsschwerpunkte
- Frührealismus
- Grillparzer
- 20. Jhdt.
- Ingeborg Bachmann
- Literarische Rhetorik
- Editionswissenschaft
Virtuelle Bibliothek
Lehrveranstaltungen 2011S
Lehrveranstaltungen 2010W
Lehrveranstaltungen 2010S
Alle bisherigen Lehrveranstaltungen im Vorlesungsverzeichnis