„Weltbürger“ als Flüchtling : Stefan Zweig und der Verlust der „geistigen Heimat“

/ Bastian Spangenberg

Wien : 2016

Masterarbeit

Betreut von: Annegret Pelz

In der Masterarbeit ,Weltbürger‛ als Flüchtling. Stefan Zweig und der Verlust der „geistigen Heimat“ gehe ich der Frage nach, ob Stefan Zweig heute noch dergestalt gelesen werden kann, dass die gängigen Epitheta, zum Beispiel 'großer Europäer', 'Kosmopolit', 'Pazifist' und 'Humanist', aufrecht erhalten bleiben können. Zweigs Weltbild lässt sich gut an den Begriffen 'Weltbürger' und 'Flüchtling' darstellen, insofern als der Autor weit gereist ist, fliehen musste, sich vielfach für die Völkerverständigung einsetzte und Verfechter eines geeinten Europas war. Da Zweig selbst eine Dreiteilung zur besseren Betrachtung seines Lebens unternahm, folge ich ihm in diesem Beispiel. Der erste Teil behandelt die Zeitspanne des ersten Weltkriegs. Innerhalb dieser ändert Zweig sein Weltbild, weg von einem nationalistischen Patriotismus, hin zu einem europäischen Standpunkt. Allerdings ist dies kein linearer Wandel und so kommt es zur Janusköpfigkeit im ersten Weltkrieg, das heißt, dass Zweig vom Rezipienten abhängend seine politische Meinung äußerte. Nach seiner Flucht in die Schweiz 1917 werden seine Beiträge immer konsistenter und bewusst europäischer, sodass die neutrale und friedliche Schweiz ihm zum Ideal eines neuen Europas wurde. Im zweiten Teil gehe ich genauer auf die neuerworbene politische Haltung ein, beschreibe Zweigs Hinwendung zum Defaitismus und die Vorbildfunktion, die Romain Rolland bei dem Wandel eingenommen hat. Anhand zweier Novellen, Der Zwang [1920] und Der Flüchtling [1926] lässt sich das pazifistische und zu Solidarität ermunternde Weltbild Zweigs gut exemplifizieren. Darin kommen im besonderen der Moment der Flucht und die Angst vor der verhinderten Heimkehr (Der Flüchtling) und die Angst vor dem patriotischen Pflichtbewusstsein (Der Zwang) zur Geltung. Im Anschluss stelle ich Zweigs Heimatbild dar, dass sich dem Krieg zum Trotz nicht merklich verändert hat und als durchweg wohlwollend zu bewerten ist. Mittels der Hybriditäts-Theorie von Homi Bhabha versuche ich Zweigs scheinbaren humanistischen Wandel weiter zu erklären. Der internationale Familienhintergrund könnte gemeinsam mit dem Einfluss Rollands und dem Positivbeispiel der Schweiz, seinen Beitrag zum neuen Humanismus und Pazifismus geleistet haben. Im dritten und gleichzeitig umfangreichsten Teil der Arbeit untersuche ich, ob Zweig in die politisch rechte Ecke gedrängt werden darf und komme zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall ist. Obwohl ein öffentliches Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus nur zögerlich kam, sind die Argumente gegen die Ansicht, Zweig eine rechte Haltung zuzuschreiben, zu stark. Zweig veröffentlicht einige Texte, die eine eindeutige Positionierung gegen Hitler beinhalten. Im Jahr 1933 flieht Zweig aus Österreich und landet 1934 endgültig in England. Von dort unternimmt er im Jahr 1936 eine Reise nach Südamerika, während derer er zum ersten Mal Brasilien betritt. Das Land gefällt ihm ausgesprochen gut und er plant, ein Buch über das Land zu schreiben. Vorerst kehrt er aber nach England zurück, wo er seinen österreichischen Pass abgeben muss, um seine Anti-Deutsche Haltung zu beweisen. Ab diesem Moment fühlt er sich selber als Flüchtling. Zuvor hatte er in Europa Schwierigkeiten, sich diesen Status einzugestehen. Aus dem Verlust des Passes entwickelt sich eine neue Beschäftigung mit der Heimat. Zweig wird sich bewusst, dass er emotional doch stärker an Österreich gebunden war, als er es gedacht hatte. Es flammt in einigen Schriften ein neuer Nationalismus auf. Während einer Reise in die USA im Januar 1939 kommt es schließlich zu einem offensichtlich rassistischen Text, der Negerfrage. Zweig muss in der Folge auch aus England fliehen und verliert seine europäische Heimat endgültig. Er projiziert auf Brasilien, das er 1940 ein weiteres Mal besucht hat, das paradiesische Negativ des sich selbst zerstörenden Europas. Aus diesen Idealisierungen wird ein Buch, Brasilien. Ein Land der Zukunft. Das Buch wird ein Tauschobjekt – im Gegenzug erhält Zweig für sich und seine Gattin Lotte Aufenthaltsgenehmigungen von der Regierung um Diktator Vargas. Ich gelange zu der These, dass die Brasilianer in Zweigs Darstellung vergleichbar sind mit den Orientalen nach der Orientalismus-Kritik von Said. Zweig lässt eindeutige imperialistische und paternalistische Tendenzen erkennen. Mein Ergebnis daraus ist, dass Zweig letztlich zwar europäischer geworden ist, aber dabei die Probleme des Nationalismus auf kontinentale Ebene verschiebt. Brasilien hat seine Daseinsberechtigung darin, die europäische Kultur und Zivilisation fortzuführen. In diesem Kontinentalismus erkenne ich mit Vilém Flusser eine verpasste Chance. Zweig hätte als Flüchtling alle Anlagen gehabt, im Sinne Bhabhas einen Dritten Raum zu eröffnen und mit dem Fremden zu dialogisieren. Diese Möglichkeit versäumt er und wählt im Februar 1942 den Freitod.