Studien zur Intertextualität in der frühen Neuzeit : Florians von der Fleschen wunderbarliche / seltzame / abenthewrliche Schiffarten vnd Reysen ; kritische Edition, Kommentar, Hypotexte, Analyse

/ Andreas Brandtner

Wien : 1998

Andreas Brandtner

Dissertation

Betreut von: Wolfgang Neuber

Die Analyse agiert als historische Fallstudie und untersucht exemplarisch technische, modale und funktionale Aspekte der (Re-)Konstitution eines frühneuzeitlichen Einzeltextes, der hochgradig durch die konkrete Präsenz und Interferenz subtextueller Elemente organisiert ist. Als Untersuchungsbeispiel wird der anonym publizierte Text „Florians von der Fleschen Wunderbarliche/ sekzame / abenthewrliche Schiffarten vnd Reysen / Welche er kurtz verwichner Zeit/ in die newe Welt gethan/ was sich gedenckwirdiges vnder dessen begeben/ vnd wie er vnd die seinige alles volauff vnd genug bekommen. Gedruckt zu Straßburg! Bey Holland Fuendlern. ANNO. M. DC. XXV. herangezogen. In dem von der Literaturwissenschaft kaum beachteten „kleinen Büchlin" werden auf der narrativen Basis der im Laufe des 16. Jahrhunderts stabilisierten Gattungskonventionen von Reisebericht und Prosaroman, deren Analogien die erkenntnistheoretische Bedingung der Möglichkeit der vorliegenden Erzählung darstellen, mehrere Texte, die Alteritätserfahrungen präsentieren, synthetisiert. Einerseits handelt es sich um Auszüge einiger Reiseberichte über die Neue Welt aus den Reihen von Theodor de Bry und Levinus Hulsius, andererseits konstituiert sich „Florian von der Fleschen" als Teilübersetzung der in wechselseitiger Relation zu Rabelais' ‚Gargantua et Pantagruel" stehenden „Navigation du Compaignon ä la Bouteille". Dieses strukturell in einer Reisebewegung vorgeführte Textmaterial wird hauptsächlich um Sequenzen aus dem an Mirabiien interessierten Dialog „El iardfn de flores curiosas" von Antonio de Torquemada und dem Rußland-Reisebericht des Sigismund von Herberstein ergänzt. Die simulative Perzeption und Reproduktion fremder Realität ereignet sich erzähltechnisch in der durch eine Herausgeberfiktion (,‚Vorrede an den Leser", S. 7-9) distanzierten Wahrnehmungs- und Aufschreibeleistung des als Ich- bzw. Wir-Erzählers eingeführten „dapferen Herren vnd Heldens Florians von der Fleschen/ Herrn zu Sauffenburgs" (S. 10). Dabei bestimmt nicht die Kohärenz geographischer Routen die Handlungsorganisation, sondern - unter Rückgriff auf die Tradition des Isolarios - die Aleatorik unterschiedlicher Inselwelten. Der so prinzipiell weit geöffnete Wahrnehmungshorizont der Erzählung überschreitet noch die Sinnestätigkeit ihres personalen Zentrums, indem - garantiert durch die Omniglottie eines Dolmetschers - dem vorgeblich unmittelbar Erlebten auch indirekt durch Mitteilungen Erfahrenes hinzugefügt werden kann. Thematisch konzentriert sich die Erweiterung der Berichte aus der Neuen Welt und der Erzählung vom „Disciple de Pantagruel" - so eine andere Titeltradition der „Navigation" - fast ausschließlich auf Beschreibungen von Tierphänomenen, deren spezifische Qualität in ihrer ambivalenten Stellung im System der Historia naturalis des 16. Jahrhunderts liegt. Dort werden sie aufgrund traditionell berichteter oder vorgeblich beobachteter Devianzen in Bezug auf die durch das Klassifikationsraster regulierte Ordnung (Inkonsistenzen in Genese, materieller Konstitution, Lebenserhaltung und -raum) in ihrer Faktizität problematisiert. Der zweifelhafte Realitätsstatus der Phänomene wird in der frühneuzeitlichen Naturhistorie nicht vorrangig über die unmittelbare Evidenz kontrollierter Empirie, sondern diskursintern aus Berufungsinstanzen abzuklären versucht. Diese Affirmations- bzw. Kritikpraxis bezieht ihre Legitimationen vor allem aus dem jeweiligen Geltungsanspruch der die Verfasserstelle besetzenden Autorität und wird vom theologischen Diskurs, dessen Metaposition auf der Fundierung des Realen in einer imaginären Ordnung, auf der Verlängerung der erkennbaren Welt in die sie bedingende Schöpfung beruht, überhöht. Die Argumentationsebene verlagert sich somit von der Perspektive postulierter Realität zur systematischen Bestimmung ihrer Möglichkeitsbedingungen. Die Funktionalisierung der Phänomene in der Prodigienliteratur, in der eine zweifache Zeichenfunktion aufgebaut wird, vermittelt die reale und imaginäre Referenz. Neben die literale Auslegung der Wunder als faktisch in die Welt gekommene Lebewesen tritt ihre Allegorisierung als Verweise auf die metaphysische Motivation und Geltung bestimmter real-historischer Ereignisse