/ Anja Keßler
Wien : 2010
Diplomarbeit
Betreut von: Pia Janke
Im Zuge der Postdramatik, welche sich im vergangenen Jahrzehnt als theatrale Form zunehmend auf der Bühne etablierte und die Hierarchie des Theatertextes gegenüber anderen Bühnen- und Theaterelementen in Frage stellte, hat sich in jüngster Vergangenheit besonders ein Trend auf den deutschsprachigen Theaterbühnen herausgezeichnet: Die Inszenierung von Romanen für die Bühne. In Folge der Romandramatisierung ist der Theatertext nach Form und Inhalt nicht mehr ein dramatischer Text und der historischen Trias von Lyrik, Epik und Dramatik zuzuordnen, sondern verlangt nach einem neuen Verständnis auf Gattungs- und Bedeutungsebene. Frank Castorf, Regisseur, Intendant und Autor an der Berliner Volksbühne spezialisierte sich in seiner Theaterarbeit auf die Adaptierung von Romanen. Für eine Untersuchung der Übertragungsmomente durch den Gattungswechsel ist nicht nur die Kategorisierung und Definition der Gattung Romandramatisierung in der gattungshistorischen Trias zwischen Roman und Drama erforderlich, sondern auch eine Untersuchung der Theaterästhetik Castorfs und seiner zur Dramatisierung ausgewählten Grundlagentexte. Die hier analysierte Bühnenfassung basiert auf Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf. Die beiden Autoren Castorf und Döblin arbeiten mit ähnlichen oder parallelen Ästhetischen Verfahrensweisen, wie durch die Untersuchung ersichtlich wird. Eine dritte Komponente in der Analyse von Romandramatisierungen bildet die konkrete Textanalyse zur Verdeutlichung der Prozesse durch die Gattungsübertragung. Zeitgenössische Dramenanalyse steht hier vor dem Problem, angemessene Analysekriterien für die Romandramatisierung zu finden. Da für ein adäquates Analysemodell die aristotelischen Grundkonzepte eines Dramas für den entstandenen Text als unzureichend erklärt werden, fordert die entstandene Gattung nach einer Erweiterung der klassischen Dramenanalyse. Im Kontext der Theaterästhetik Castorfs, die sich zwischen dramatischen und postdramatischen Theater bewegt, ist die Hinzuziehung postdramatischer Stilmittel vonnöten. In der Textanalyse der Romandramatisierung werden somit die Kriterien Text, Sprache, Figur und Körper, Geschichte und Handlung, Raum und Zeit und ergänzend die Komponente der Postdramatischen Intermedialität untersucht.