Obduktion und Leichenschau : Tote Körper in Literatur und Forensik

/ Stephanie Langer

Wien : 2017

Stephanie Langer

Dissertation

Betreut von: Eva Horn

Tote Körper haben eine Geschichte. Diese Geschichte ist eine doppelte: Zunächst hat ein konkreter toter Körper die eigene Geschichte, die Geschichte des Lebens und des Sterbens einer Person, die einen bestimmten, forensisch informierten Blick interessiert. Darüber hinaus haben tote Körper eine Kulturgeschichte. Der Zugang zu ihnen, die Techniken und Aufzeichnungspraktiken, die auf sie gerichtet sind, sind historisch variabel und immer wieder Änderungen, Neuerungen unterworfen. Deswegen wird die Dissertation strukturiert von dem Fokus auf Zeitpunkte, an denen es zu Änderungen im Wissen vom toten Körper kommt. Anhand ausgewählter Texte wird nach dem Wissen vom toten Körper in Literatur und Forensik in Goethezeit, klassischer Moderne und Gegenwart gefragt. Die Dissertation geht dabei hinaus über die etablierten Methoden einer ?Poetologie des Wissens? und denkt die Grundannahme, dass Literatur und Wissen zugleich an der Herstellung von kulturellem Wissen beteiligt sind weiter. Es ist mittlerweile Konsens, dass Metaphern wissenschaftliche Texte strukturieren und Wissen generieren. So verlockend es auch sein mag, bedeutet das methodisch vor allem, dass es vermieden werden muss, sich in der Beschreibung historischer Gegenstände von gegenwärtigen Metaphern wie der von der ?Einschreibung? einer ?Körperschrift? leiten zu lassen. Diese nämlich verstellen den Blick auf das jeweils historisch Spezifische im Wissen vom toten Körper. Stets muss nach den jeder Zeit eigenen rhetorischen Figuren gefragt werden. Die literarischen Texte von Gottlieb August Meißner, Heinrich von Kleist, Johann Wolfgang von Goethe, Gottfried Benn, Arthur Schnitzler, Patricia Cornwell und Thomas Hettche, die dabei behandelt werden, loten auf unterschiedliche Weise die Grenzen und Unsicherheiten des jeweils zeitgenössischen Wissens vom toten Körper aus. Ergänzt wird die Lektüre dieser literarischen Texte durch den Blick auf die Diskussion um Schillers Schädel sowie durch die Lektüre jeweils zeitgenössischer Fälle. Die in den Fällen Kleist und Halsmann entstandenen Gutachten sowie die Texte über die Todesursache Ötzis werfen auf je eigene Weise die zeitgenössischen Fragen an den toten Körper auf. Dabei zeigt sich: Das unsichere Wissen vom toten Körper zu reflektieren ist einer der Einsatzpunkte von Literatur. Denn Literatur ist in der Lage, Wissen zu erproben, es auf seine Brüche, seine Grenzen und Inkonsistenzen hin zu befragen. Gerade indem sie in Szene setzt, auf welche Weise Wissen organisiert ist, kann Literatur sich dem Anspruch auf eine einzige, letztgültige und absolute Wahrheit entziehen und stattdessen die Unsicherheit des Wissens vom toten Körper werden soll, als solche zu lesen geben.