/ Maria Teresa Kovacs
Wien : 2011
Diplomarbeit
Betreut von: Pia Janke
In den Jahren 1998 bis 2010 entstanden zahlreiche gemeinsame Projekte der beiden Künstler Elfriede Jelinek und Christoph Schlingensief. Jelinek verfasste für und über den Künstler eine Vielzahl an Texten. Das Textkorpus, das für die Zusammenarbeit und für die Auseinandersetzung der Autorin mit Schlingensief relevant ist, umfasst fünf essayistische Texte (Laß dir raten: Gründe Staaten!, Der Raum im Raum, Interferenzen im E-Werk, Schlingensief, Der Verschwender), sechs Theatertexte (Ich liebe Österreich, Bambiland, Irm sagt:, Margit sagt:, Parsifal: (Laß o Welt o Schreck laß nach!), Tod-krank.Doc), einen Chateintrag (gelb) sowie ein Statement zum Tod von Schlingensief. Jelineks Texte für und über Schlingensief unterscheiden sich formal nicht von ihrem übrigen Werk, nehmen jedoch inhaltlich deutlich auf den Künstler Bezug. Es können vier Ebenen bestimmt werden, die für die Präsenz des Künstlers und seines Werks innerhalb der Texte von Bedeutung sind: die Strategie, Schlingensief als mögliche Sprecherinstanz hörbar zu machen; die Übernahme und Fortschreibung von Motiven; die Reflexion von Schlingensiefs Ästhetik; die Reflexion der Zusammenarbeit. Durch die Textstrategie, Schlingensief als mögliche Stimme hörbar zu machen, wird v.a. in den beiden Theatertexten Parsifal: (Laß o Welt o Schreck laß nach!) und Tod-krank.Doc die Präsenz des Künstlers erzeugt. Mithilfe von Verweisen auf Schlingensiefs Biografie und auf sein Werk wird er vom Leser als mögliche Sprecherinstanz assoziiert. Motivübernahmen und -fortschreibungen sind in allen Texten vorhanden. Die wichtigsten Motive sind das Motiv der Erlösung und das Motiv der Krankheit. Beide wurden von Schlingensief zentral bearbeitet und fanden Eingang in Jelineks Texte. Das Motiv der Krankheit wird von Jelinek im Theatertext Tod-krank.Doc aufgegriffen. Sie assoziiert mit der Krankheit eine Höhle im Körper und entwickelt daraus ihren Text weiter. Das Motiv der Erlösung wird von Jelinek v.a. mit religiösen und antiken Erlösungsmythen verbunden sowie mit der Frage, ob Kunst zur Erlösung führen kann. Jelinek dekonstruiert in ihren Texten jegliche Erlösungsphantasien und negiert die Frage nach der Möglichkeit der Erlösung durch Kunst. In den nach dem Tod entstandenen Texten der Autorin zeigt sich jedoch die Tendenz, Schlingensief als „Kunstheiland“ zu verklären. In den essayistischen Texten reflektiert Jelinek Schlingensiefs Ästhetik. Sie ordnet ihn als bildenden Künstler ein und unterstreicht den Kunstcharakter seiner Arbeiten. Der von Schlingensief entwickelte Animatograph stellt für sie das zentrale Element seiner Arbeiten dar, da Schlingensief damit die Trennung zwischen Publikum und Bühne aufhob. Jelinek stellt besonders in den neuesten essayistischen Texten die Frage nach ihrem eigenen Vorkommen innerhalb der Arbeiten des Künstlers. Einerseits betont sie, dass ihre Person und ihre Texte in den Werken des Künstlers zum Verschwinden gebracht wurden, andererseits hält sie fest, dass Schlingensief ihre Texte transformierte und „auf andre Weise wirksam“ (S) werden ließ. Jelinek löst dieses Spannungsfeld, das sie damit eröffnet, nicht auf, beendet ihren Text Schlingensief jedoch mit einer Formulierung, die die Möglichkeit des Vorhandenseins in den Werken Schlingensiefs nicht ausschließt. Trotz der speziellen Form der Zusammenarbeit muss in Hinblick auf Jelinek und Schlingensief von einem künstlerischen Austausch gesprochen werden, da Jelinek in ihren Texten deutlich auf den Künstler Bezug nimmt und es innerhalb der Arbeiten Berührungspunkte gibt, von denen ausgehend wiederum neue Werke entwickelt wurden.