Lion Feuchtwanger als Grenzgänger : zum Elitarismus und Radikalismus seines Schaffens im US-Exil

/ Romana Trefil

Wien : 2014

Dissertation

Betreut von: Roland Innerhofer

In der vorliegenden Studie wurde das literarische Werk Lion Feuchtwangers, welches explizit mit den Jahren seines Exils in den Vereinigten Staaten zu datieren ist, behandelt. Das ist die Zeit, die einerseits von den Erfahrungen des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkrieges genauso geprägt war wie andererseits vom Gegensatz zwischen Imperialismus und Kommunismus im Kontext des sogenannten Kalten Krieges nach 1945. Grundsätzlich ist zunächst davon auszugehen, dass Lion Feuchtwanger selbst seinen Aufenthalt im Exil keineswegs als so unangenehm empfand, dass er die Lust verspürte, wieder in seine alte Heimat Deutschland oder zumindest nach Europa zurückzukehren. Es wäre unerheblich über die entsprechenden Gründe für diese Entscheidung zu intensive Recherchen anzustellen. Vielmehr scheint wichtig, dass der Künstler in seiner kalifornischen Villa einige Jahre der Zufriedenheit verbringen konnte; auch wenn er aufgrund seiner prokommunistischen und zumindest teilweise pro-stalinistischen Haltung natürlich der permanenten und kritischen Überwachung amerikanischer Behörden ausgesetzt war; auch wenn es zumindest anfangs problematisch war, seinen deutschsprachigen Leserkreis zurückzugewinnen. Dies zeigt sich in dem durchaus als sehr produktiv und vielfältig zu bezeichnenden Schaffen seit seiner Flucht aus Europa. Es waren auch die Romane „Die Brüder Lautensack“ (1943), „Die Füchse im Weinberg“ (1946), „Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis“ (1951), „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ (1952), „Die Jüdin von Toledo“ (1954) sowie „Jefta und seine Tochter“ (1957), welche in der vorliegenden Forschungsstudie eine besondere Aufmerksamkeit erfahren sollten. Zunächst muss betont werden, dass alle Werke Feuchtwangers (und dies nicht erst seit seiner Schaffensperiode im Exil) durch ein entscheidendes Maß an historischer Reflexion bestimmt waren. Diese Tatsache ist vor dem Hintergrund, dass Feuchtwanger als hervorragender Kenner geschichtlicher Zusammenhänge verstanden werden muss, stets zu beachten. Nur auf dieser Grundlage kann analysiert werden, in welchem Maße zeitgenössische Fragen hinsichtlich sozialgesellschaftlicher, politischer und religiöser Probleme auf die Darstellung im historischen Kontext projiziert wurden. Es darf nicht verwundern, dass für Feuchtwanger insbesondere Momente von Aufklärung und Humanismus zu essentiellen Kernpunkten seiner literarischen Kunst vorrückten. Nicht nur der Umstand, dass Aufklärung ohnehin zu einem wesentlichen Faktor der historischen Darstellung zu zählen ist, weil die Romane „Die Füchse im Weinberg“, „Goya oder Der arge Weg der Erkenntnis“ sowie „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ direkt oder zumindest ansatzweise mit dem Zeitalter der europäischen Aufklärung gleichzusetzen sind. Allein dies muss erklären, weshalb die Thematik für Feuchtwanger von übergeordnetem Wert war. Vielmehr ist es aber wohl die Reflexion aufklärerischer, humanistischer beziehungsweise einfach „zwischenmenschlicher“ Aspekte in der seinerzeitigen Gesellschaft, welche sich in seinen historischen Romanen widerspiegelt. Denn nochmals soll betont werden, dass aufklärerische Gedanken und aufklärerisches Handeln als Gegenpol zu jenen Paradigmen zu zählen sind, unter denen Feuchtwanger als Künstler wie auch als Mensch Zeit seines Lebens zu leiden hatte: der Diktatur des Dritten Reiches und dem damit verbundenen nationalsozialistischen Gedanken, welcher einem aufklärerischen Gedankengut ohne Frage radikal gegenüberstand; dem Imperialismus mit seiner nach Feuchtwanger aggressiven antikommunistischen Politik, unter welcher er nach 1945 in seinem amerikanischen Exil zumindest emotional zu leiden hatte. Neben den Kernattributen aufklärerischen Denkens (wie vor allem Freiheit, Liberalismus, Toleranz, Rationalität, Bildung, Geselligkeit oder eben auch einem antiklerikalen Denken) waren es aber nämlich auch die Fragen nach einer Brutalität und Gewalt, welche im Werk Feuchtwangers immer wieder aufgegriffen wurden. Damit sind einerseits Beschreibungen gemeint, welche im Kontext von kriegerischen oder revolutionären Ereignissen reflektiert wurden. Exemplarisch sei nochmals besonders an die Inhalte in „Die Füchse im Weinberg“, „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ oder auch „Die Jüdin von Toledo“ erinnert, weil hier die Revolutionen in Amerika und Frankreich beziehungsweise die militärischen Konfrontationen im Rahmen der Reconquista auf der Iberischen Halbinsel beschrieben wurden und Gewalt dabei natürlich einen besonderen Stellenwert beanspruchte; nur so konnte Feuchtwanger seinem Leser die historischen Ereignisse glaubhaft vermitteln. Andererseits sind es aber auch Schilderungen von Gewalt auf einer kleineren Ebene gewesen, welche in seinen Romanen immer wieder zu erkennen sind. Möglicherweise handelt es sich hierbei auch um die Verarbeitung eigener Erfahrungen infolge von Flucht, Exil und lediglicher Duldung in den Vereinigten Staaten, die zum Tragen kamen. Wiederum nur exemplarisch soll in diesem Zusammenhang auf „Jefta und seine Tochter“ oder „Die Brüder Lautensack“ verwiesen werden; auf den Tod beziehungsweise das Glaubensopfer, welches mit zum Teil sehr auf Gewalt bezogenen Wortschatz beschrieben wird. Nicht verwundern soll hingegen, dass in Feuchtwangers epischem Spätwerk die Thematik des Judentums eine übergeordnete Rolle spielt. So sind es die Werke „Die Jüdin von Toledo“ sowie „Jefta und seine Tochter“, in welchen religiöse, kulturelle sowie geschichtliche Aspekte des Judentums sehr detailliert dargestellt werden; einerseits aufgrund der mittelalterlichen Geschichte von Christen- und Judentum sowie Islam auf der Iberischen Halbinsel; andererseits aufgrund des Aufgreifens alttestamentarischer Sujets. Auch wenn Feuchtwanger, der selbst jüdischer Herkunft war, was bekanntlich neben seiner antifaschistischen Überzeugung Grund für seine Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland war, sich niemals als tiefgläubig empfand, kann davon ausgegangen werden, dass die intensive Verarbeitung des Themas durchaus als Rückbesinnung auf eigene traditionelle und religiöse Wurzeln zu interpretieren sein darf. Auch wenn dabei stets eine gewisse Sympathie mit den jüdischen Protagonisten zu erkennen ist, muss betont werden, dass die Texte Feuchtwangers weitab jeglicher Verherrlichung oder orthodoxer Glaubensmission zu begreifen sind. Diese religiöse Objektivität macht den besonderen Reiz der Lektüre aus. Wiederum wird damit ein überaus aufklärerisches Denken des Autors bestätigt; ein Denken, welches dieser sich von einer viel größeren Masse der Menschen wünschte. All diese Leitfaktoren verdeutlichen augenscheinlich eine Wechselwirkung zwischen jenen Themen, die den Autor auch persönlich in seiner Epoche bewegten, und jenen, welche als historische Momente zu kategorisieren sind. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass weniger elitäre Aspekte als vielmehr immer wieder Anzeichen einer Depression in den Texten Feuchtwangers auszumachen sind. Denn natürlich waren es jene Schmerzen und jene Gewalt, die er und viele seiner Leidensgenossen zu tragen hatten, weil sich eben nicht anzupassen gedachten, anzupassen an die existierenden gesellschaftspolitischen und ideologischen Vorgaben des Nationalsozialismus oder auch des amerikanischen Imperialismus, die in den Texten zu analysieren sind. Stets begriff sich Feuchtwanger als Opponenten, was sich auch deutlich in seinen Werken widerspiegelte. Insbesondere hatte der Autor im historischen Roman die Möglichkeit, Gesellschaftskritik so zu gestalten, dass sie dem Leser auf den ersten Blick als Schilderung der historischen Situation erscheint. Allerdings wäre es problematisch, das prosaische Werk Feuchtwangers, welches er bis zu seinem Tod 1958 veröffentlichte, als Zeugnis einer Depression zu beschreiben. Denn immer wieder lassen die Texte auch eine gewisse Hoffnung auf die Zukunft und auf den Wunsch, dass es doch eine bessere, weil friedlichere Koexistenz der unterschiedlichen Völker und Religionen geben könnte, erkennen. Vor allem am Beispiel der Romane „Die Füchse im Weinberg“ und ganz besonders „Jefta und seine Tochter“ kann dies nachvollzogen werden. Wenn man sich die Frage stellt, inwieweit Lion Feuchtwanger als „Grenzgänger“, als elitärer und radikaler Schriftsteller und Mensch zu beurteilen ist, kann dies freilich nicht allein aufgrund der vorliegenden Analyse seiner Exilwerke geschehen. Denn es ist zu beachten, dass es sich dabei stets um Fiktion handelt; auch wenn historische Themen überaus detailliert und historiographisch verarbeitet werden. Eine relevante Beurteilung dieser Frage kann nur auf der Grundlage biographischer und künstlerisch-literarischer Analysen geschehen. Vor diesem Hintergrund ist jedoch eindeutig zu erkennen, dass Feuchtwanger durchaus als „Grenzgänger“ zu bezeichnen ist; als „Grenzgänger“, welchem hinsichtlich des Lebenslaufes wie auch des künstlerisch-literarischen Schaffens eine gewisse Radikalität zu attestieren ist. Mit seinen sehr drastischen Sprachmitteln will er eine bestimmte Grausamkeit und Brutalität, eine Abscheu vor Personen oder Ereignissen oder auch eine entsprechende Angst aufzeigen und diese auch beim Leser provozieren. Am Beispiel des Romans „Jefta und seine Tochter“ wird zudem sehr deutlich, inwieweit Feuchtwanger auf sehr radikale und provokante Weise versucht, einen Sprachstil zu entwickeln, der bei seinen Lesern teilweise auf Verwunderung, wenn nicht sogar auf Ablehnung stößt. Schließlich ist zu akzentuieren, dass Feuchtwanger auch ein gewisser elitärer Status zu attestieren ist. Besonders vor dem Hintergrund, dass er - als Sympathisant kommunistischer und zeitweise stalinistischer Ideale - die Entscheidung traf, seinem Exil nicht den Rücken zu kehren, verdeutlicht diese Tatsache besonders offenkundig. Es darf vermutet werden, dass er der Meinung war, hier in der „Höhle des Löwen“, dem „Kernzentrum“ des Imperialismus, seiner literarischen Tätigkeit besonders engagiert und nicht zuletzt auch provozierend nachgehen zu können.