/ Marina Rauchenbacher
Wien : 2012
Dissertation
Betreut von: Konstanze Fliedl
Als theoretisch-methodische Ausgangsbasis dient die Annahme, dass *Karoline von Günderrode* als ‚cultural text‘ (Bal) zu verstehen ist. Die Asteriske heben die so begrenzte Sinneinheit von anderen Ausdrücken ab und markieren den Diskussionsgegenstand, beanspruchen aber – als Wildcard – auch ein dekonstruktives Moment (de Man/Gasché). An der *Günderrode*-Rezeption kann gezeigt werden, dass keine lineare Entwicklung im Sinne einer ‚Rezeptionsgeschichte‘ (Gadamer u. a.) nachzuvollziehen, sondern von einem ‚Rezeptionsgefüge‘ zu sprechen ist. Dieses verläuft diskontinuierlich und ist vielmehr als Netzwerk zu denken. *Karoline von Günderrode* wird als Metonymie erkennbar, die eine Reihe von Diskursen, intra- und extradiskursiven Praxen und den darin konstituierten Dispositiven versammelt. Diese Abstraktion steht durchwegs in Opposition zu einer kulturellen Konstruktion, die als ‚biografisches Verlangen‘ (Raulff) oder ‚biografisches Bedürfnis‘ (Fliedl) bezeichnet wird. Die Biografieschreibung stillt demnach das Bedürfnis nach körperlichen Imaginationen, nach scheinbar konkreten Anhaltspunkten in der als diffus erlebten Geschichte. Die Referentialität zwischen der Zeichenfolge ‚Karoline von Günderrode‘ und den lebens- bzw. faktennahen Daten einer historischen Figur, die diese Zeichenfolge als Namen trug, erweist sich im Rezeptionsgefüge als äußerst arbiträr und wird stets neu ausgelotet. Der Autor_innenname referiert auf ein Konstrukt, das – Foucault folgend – die Lektüre steuert. Diese Rezeption ist im Falle *Günderrodes* vorwiegend die einer teils willkürlich kreierten Biografie, die in verschiedenen Formen aus den fiktionalen Texten und Briefen imaginiert wird. Der Begriff der ‚Figurʻ kennzeichnet die Distanzierung von ‚Realitätsansprüchen‘ oder gar historischen Beglaubigungen und verweist auf den Bereich der Fiktion. Die vorliegende Dissertation geht von mehreren methodisch-theoretischen Ansätzen und inhaltlichen Aspekten aus: Am Beginn steht die Auswertung der Einträge in Literaturgeschichten und lexika, da diese als kanonprägend und bildend zu sehen sind; nicht nur hinsichtlich von Autor_innenschaft, sondern auch hinsichtlich der unter dem Namen *Günderrode* vorwiegend verhandelten Themen. Daran schließt ein Vergleich der bisherigen Texteditionen an, der ebenfalls Kanonisierungsprozesse aufzuzeigen vermag. Als paradigmatisch können schließlich die Rezeptionszeugnisse zu *Günderrodes* Einordnung in die ‚Romantik‘ gelten. Ausgehend von einer etymologischen Untersuchung des Begriffes werden die Bedeutungsebenen dieser Zuordnung aufgezeigt und die zentralen Diskurse, ‚Todʻ und ‚Liebeʻ, analysiert. Die schon angesprochene Funktion des Namens als Eigen- und Autor_innenname wird schließlich theoretisch (Searle, Foucault, Hahn) und in Hinblick auf zentrale Texte des Rezeptionsgefüges aufgearbeitet. Der Stellenwert des Namens *Günderrode* als ‚weiblicher‘ Name kann vor allem an Briefen und an der literarhistorisch etablierten Bezeichnung der ‚(deutschen) Sappho‘ gezeigt werden. Basierend auf den theoretischen Ausführungen zum Bild-Begriff und zur Bild-Wahrnehmung (Foucault, Mitchell, Husserl/Jonas/Simon) wird deutlich, dass die *Günderrode*-Rezeption den Konfigurationen einer ‚idealen Frau‘ folgt. Das Kunstzitat (Eilert) ist als Dispositiv der *Günderrode*-Rezeption zu verstehen; die ‚Weiblichkeits‘-Entwürfe Humboldts und unter anderem die anatomischen Beschreibungs- und Körperdarstellungspraxen des 18. Jahrhunderts sind bestimmend und bedingen auch die für die Rezeption ausschlaggebenden Körper-Beschreibungen in Brentanos / Arnims Goethes Briefwechsel mit einem Kinde und Die Günderode. Das abschließende Kapitel zur Biografieschreibung geht auf wesentliche Verfahren und Strukturmerkmale der *Günderrode*-Rezeption ein; so etwa auf Titel, Themenfolge und Figurenkonstellationen.