/ Johannes Deibl
Wien : 2020
Dissertation
Betreut von: Stephan Müller
Hans W. Kirchhofs Kleinprosasammlung Wendunmuth (1653/1602/1603) diente der Forschung bislang vor allem als Textpool im Rahmen weiter gefasster Fragestellungen. Wie ihre verengte Kategorisierung als ‚Schwanksammlung‘ zeigt, wurde das Potenzial dieser eigenständigen Komposition, die bereits einen Vorgeschmack auf ‚bunte‘ Barocksammlungen bietet, zu wenig wahrgenommen. Mithilfe der Programmatik des Sonderforschungsbereichs 573 Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit (Ludwig-Maximilians-Universität München) erfolgt nun erstmalig eine fokussierte, systematische Annäherung an die Kompilation. So wird der Blick auf selbstautorisierende Strategien gerichtet, die das Werk für die anwachsende Konkurrenz am aktuellen Buchmarkt wappnen sollen. Die aufgewandten Paratexte und die Erweiterung ihres Spektrums – der Wendunmuh entlehnt den Texttypus des Mottos vom Medium der Flugschrift – spielen dabei eine Schlüsselrolle. Interne Vernetzungsleistungen versuchen den vielfältigen Inhalt zu verklammern. Die metafiktionale Prägung soll die Wahrnehmung der Rezipierenden darauf richten, durch eine aufbereitete Textsammlung geleitet zu werden; das geschieht nicht zuletzt über die bereitgestellten Versepimythia, die bestärkend, erweiternd, aber auch als Korrektiv zum Prosatext wirken. Daran schließen Empfehlungen für die Rezeption an: lauschend in launigen Runden, aber auch privat lesend. Laut Haupttitel ist von einer melancholischen Grundhaltung Abstand zu nehmen, um für die Botschaften der Sammlung, die der göttlichen Ordnung folgen, aufnahmebereit zu sein. Im Rahmen dieser Ordnung werden Spuren zweier Diskurse in der Kompilation freigelegt, die zu jener Zeit in Pluralisierung begriffen sind: die Vorstellung einer metaphysischen Ständeordnung, gekoppelt an die Frage der sozialen Mobilität, sowie der Streit um den Wert und das Anwendungsspektrum der deutschen Volkssprache. In beiden Fällen bezieht die Sammlung klare Positionen, die jedoch unterschiedlich autorisiert werden. Kirchhof agiert in der Frage der Ständeordnung vor allem in Form von polemischen Anwürfen gegenüber der katholischen Geistlichkeit, die nicht in allen drei Segmenten nach Luther (kirchlich, politisch, häuslich/ehelich) vertreten sein kann. Die deutsche Volkssprache fördert er hingegen durch ein gezieltes Auftreten gegen stumm mitlaufende Gegenmeinungen jener Zeit.