Geschichte der Literatur in Österreich Band 2/2 : Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439 – 2. Halbband: Die Literatur zur Zeit der habsburgischen Herzöge von Rudolf IV. bis Albrecht V. (1358-1439)

/ von Fritz Peter Knapp

Graz : Akademische Druck- und Verlagsanstalt, 2004

(= Geschichte der Literatur in Österreich : von den Anfängen bis zur Gegenwart ; 2/2)

Fritz Peter Knapp

Herbert Zeman

Mit dem zweiten Halbband des zweiten Bandes ist der Mittelalter-Teil der Geschichte der Literatur in Osterreich abgeschlossen und damit diese erstmals in ihrer Gesamtheit aus den Quellen erfaßt und beschrieben, von den Anfängen im 8. Jahrhundert bis an die Schwelle der Neuzeit in der Mitte des 15. Jahrhunderts, da Reichsresidenz und Reichskanzlei von Böhmen in die habsburgischen Länder der neuen Römischen Könige, Albrechts II. und Friedrichs III., verlegt werden, da humanistisches Denken in diese Länder eindringt, da die letzte höfisch-ritterliche Literaturgattung mit dem Tode des „letzten Minnesängers“ Oswald von Wolkenstein (1445) zu Ende gegangen ist. Der explosionsartige Anstieg der Menge erhaltener Schriftzeugnisse hat diesen Halbband auf den Umfang des ersten Bandes anschwellen lassen, obwohl nur etwa 80 Jahre darzustellen waren. Viele literarische Quellen sind hier erstmals überhaupt in einer Literaturgeschichte behandelt worden, so vor allem das überreiche lateinische Schrifttum der Wiener Universitätslehrer und die im Umkreis der Rudolphina entstandene Masse deutscher Übersetzungen und Bearbeitungen der sogenannten Wiener Schule. Theologen und Prediger von europäischer Bedeutung wie Heinrich von Langenstein, Heinrich von Oyta oder Nikolaus von Dinkelsbühl kommen hier ebenso zu Wort wie zahlreiche andere, die es trotz eifriger Produktion nicht einmal bis zur Aufnahme in die gängigsten Handbücher geschafft haben. Von diesen „kleineren“ Autoren ist meist gar nichts, von jenen „Großen“ nur wenig bis heute gedruckt worden und mußte daher aus den Handschriften erschlossen werden, was natürlich nur ausschnittweise und exemplarisch geschehen konnte. Auch für den ganz überwiegenden Teil der Werke der Wiener Schule liegen keine Editionen vor, abgesehen natürlich von „Bestsellern“ des gesamten deutschen Sprachraums wie dem Beichtspiegel Die Erkenntnis der Sünde oder Thomas Peuntners Büchlein von der Liebhabung Gottes.

Recht gut erforscht sind die deutschen Literaturgattungen des bürgerlichen und höfischen Reimspruchs (Heinrich der Teichner und Peter Suchenwirt), des Geistlichen Spiels und insbesondere der Liedkunst. Nur Oswald von Wolkenstein hat so viel Interesse in der gelehrten Welt erfahren, daß deren Erkenntnisse nur in strenger Auswahl registriert werden konnten und im übrigen darauf verwiesen werden mußte. Dafür sollte der weniger bekannten Lyrik Hugos von Montfort, des Mönchs von Salzburg und der Sterzinger Miszellaneenhandschrift mehr Gerechtigkeit widerfahren. Ausführlich zu würdigen waren auch die in ihrer Bedeutung eher unterschätzten Erlauer Spiele und die mit dem rätselhaften Namen Heinrichs von München verbundene, doch wohl „österreichische“ Weltchronistik, die erst kürzlich aus der verwirrenden Vielfalt der Überlieferung halbwegs rekonstruiert worden ist. Umgekehrt waren aber auch eine Menge Texte, die sich als später und/oder auswärts verfasst erwiesen haben, aus der Darstellung auszuschließen, so etliche Erzeugnisse der sogenannten Neidhart-Renaissance und zahlreiche geistliche und weltliche Spiele.

Zum Umfang des Bandes nicht unerheblich beigetragen hat auch die hohe Zahl erhaltener Denkmäler der bildenden Kunst, die doch durch ausreichende Beispiele vertreten sein mußten, um den Rahmen einer umfassenden Kulturgeschichte zumindest anzudeuten. Innerhalb dieses Rahmens entsteht das Gesamtbild einer durchaus eigenständigen Literaturlandschaft, die sich besonders durch den geistlich-religiösen Akzent geprägt erweist, ohne sich jedoch der Mystik wirklich zu öffnen. Die weltliche Lyrik ist freilich durch herausragende Œuvres vertreten, die weltliche Erzählung außerhalb der Chronistik hingegen so gut wie gar nicht vorhanden, in markantem Gegensatz zu anderen deutschen Ländern, wo sowohl die Versnovelle wie der pseudo-historische Vers- und Prosaroman blühen. Die meisten geistigen Kräfte vermag im gesamten Südosten des Reichs die vom österreichischen Herzog gegründete und mit seinem Hof vielfältig verbundene Landesuniversität zu binden.

ISBN: 9783201018128