/ Andrea Kleene
Wien : 2017
Dissertation
Betreut von: Alexandra N. Lenz
Die Dissertation „Attitudinal-perzeptive Variationslinguistik im bairischen Sprachraum. Horizontale und vertikale Grenzen aus der Hörerperspektive“ widmet sich einem Forschungsgegenstand, der erst in den letzten Jahrzehnten in den Fokus der germanistischen variationslinguistischen Forschung gerückt ist: der Perzeptionslinguistik und Einstellungsforschung. Da Wahrnehmungen sich aber kaum von Einstellungen trennen lassen und vice versa, wurden in der Arbeit beide Forschungsrichtungen zur „attitudinal-perzeptiven Variationslinguistik“ zusammengeführt. Die Arbeit analysiert die Wahrnehmung und Bewertung verschiedenster Grenzkategorien (von Staatsgrenzen und anderen extralinguistischen Grenzen einerseits bis hin zu sprachinternen Varietätengrenzen andererseits). Das Untersuchungsareal bildet dabei der bairische Sprachraum nach Wiesinger (1983). Er ist für diesen Forschungsgegenstand deshalb besonders aufschlussreich, da er auf der einen Seite von verwandten dialektalen Varietäten geprägt ist und sich auf der anderen Seite über drei Länder (Deutschland, Österreich und Italien) erstreckt. Indem das Dissertationprojekt die Abgrenzungen und Charakterisierungen der Standardvarietät(en) aus attitudinal-perzeptiver Perspektive beleuchtet, leistet es einen Beitrag zu der Frage, ob das Deutsche als plurizentrische Sprache aufzufassen ist. Daneben lassen sich die zentralen Forschungsfragen der Arbeit wie folgt zusammenfassen: Horizontal-areale Grenzen (politische Grenzen als Sprachgrenzen): Wie steht es um die Korrelation zwischen attitudinal-perzeptiven Daten einerseits und extralinguistischen (insbesondere politischen) Grenzen andererseits? Werden Staats- (vor allem die zwischen Deutschland und Österreich) und Bundesländergrenzen als Sprachgrenzen wahrgenommen? Vertikal-soziale Grenzen (Sprachlagen auf der Dialekt-Standard-Achse): Welche Sprachlagen nehmen linguistische Laien bei sich und bei anderen wahr, wie werden diese benannt und wie und wodurch grenzen sie sich voneinander ab? Welche Wahrnehmungen und Einstellungen zum Konzept Standardsprache bzw. den im Untersuchungsgebiet vorzufindenden standardsprachlichen Ausprägungen lassen sich in den Köpfen linguistischer Laien aufspüren? Diese Fragen werden mithilfe eines pluridimensionalen Erhebungssettings bestehend aus Tiefeninterview, Online-Fragebogen, Mental-Map-Erhebung und Hörerurteilstest analysiert. Auf diese Weise kann gezeigt werden, dass extralinguistische Barrieren, wie etwa politische Grenzen (Staats- und Ländergrenzen), stark mit den attitudinal-perzeptiven Grenzen korrelieren. So stellt etwa die Staatsgrenze zwischen Deutschland (Bayern) und Österreich (Oberösterreich) im Bewusstsein der Befragten auch eine Sprachgrenze dar. Hinsichtlich der vertikalen Grenzen differenzieren die Probanden aus dem bairischen Sprachraum bis zu vier unterschiedliche Sprachlagen, denen sie spezifische Verwendungskontexte zuordnen. Dabei lassen sich nur geringfügige Unterschiede zwischen den Gewährspersonen aus Altbayern und Österreich ausmachen: So wird etwa die bundesdeutsche Standardsprache von beiden Gruppen gleichermaßen als »kognitive Standardnorm« betrachtet.