Zeit des Klimas. Zur Verzeitlichung von Natur in der literarischen Moderne

Neuere deutsche Literatur

Projektleitung: Eva Horn

Projektteam: Christina Lengauer Hanna Hamel

Projektlaufzeit: 36 Monate (1.2.2014-31.1.2017)

Fördergeber:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (244511515)

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Projekt im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms Æsthetische Eigenzeiten · Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne (SPP 1688)

„Klima“ ist von der Antike bis ins späte 18. Jh. eine Kategorie der lokalen Differenzierung, die Mentalitäten und Kulturen auf ihre meteorologischen Existenzbedingungen zurückführt. Mit Herders Klima-Anthropologie einerseits, mit der Entdeckung einer Tiefenzeit der Naturgeschichte und ihrer klimatischen Zäsuren durch Buffon und Cuvier andererseits beginnt „Klima“, sich von einer lokalen zu einer globalen und zeitlichen Kategorie zu wandeln. Aus Klima als einer Kategorie des Orts wird allmählich eine komplizierte und rätselhafte Geschichte des Welt-Klimas. Von der Entdeckung der Eiszeiten im 19. Jhd. bis zu den heutigen Verfahren der Klimaforschung wird Klima damit als zugleich globale und zeitliche Kategorie gefaßt, deren Herausforderung in der Tiefe dieser Zeitlichkeit und in der Möglichkeit einer Prognose künftiger Entwicklungen liegt.
Damit stellt sich wissenschaftshistorisch und ästhetisch die Frage nach der Darstellbarkeit dieser Zeitlichkeit. In Form von Wetter-Ereignissen, Landschaftsdarstellungen, Jahreszeit-Gedichten, aber auch Imaginationen klimatischer Katastrophen und Umbrüche wird Klima – sowohl als Na-tur-Zeit als auch als menschliche Lebens-Zeit – zu einem Gegenstand literarischer Reflexion und ästhetischer Zeit-Darstellung. Umgekehrt können literarische Texte als Symptom für einen Um-bruch von Klima entziffert werden. Gerade weil Klima aber, anders als das ereignishafte Wetter, als Durchschnittsbildung und Erwartungshorizont eine abstrakte Kategorie und damit ein „Hintergrundphänomen“ ist, werden literarische Verfahren entwickelt, um die Zeit des Klimas in ästhetische Formen zu bringen: z.B. durch narrative Raffung, Zirkularität wiederkehrender Jahreszeiten, Vorlauf und Rücklauf, durch Entzifferung von Fossilen und geologischen Schichten oder durch Ausmalung von Klima-Ereignissen (wie etwa einer Eiszeit). Das Projekt untersucht diesen Prozess einer Verzeitlichung von „Klima“ – als Begriff und Phänomen – anhand von Beispielen aus der Literatur des 18.-21. Jhds. Es soll dabei zugleich die Verfahren ausleuchten, mit denen Fiktion (Literatur und im 20./21. Jhd. auch der Film) zum Medium wird, in dem das abstrakte und globale Klima erfahrbar und anschaulich wird und somit zum Gegenstand eines spezifischen Wissens werden kann. Im Klima wird Zeit ästhetisch darstellbar gemacht. Das Projekt stellt die Eigenlogik dieser ästhetischen Darstellungen von Wetter und Klima den wissenschaftlichen Diskursen einer Erfassung und Prognose von Klima gegenüber und untersucht, wie im ästhetischen Raum ein anderes Wissen dieser meteorologischen Phänomene generiert wird.

Climate’s Time. The Temporalization of Nature in Modern Fiction

From Antiquity to the late 18th century, „climate“ is a local category: it refers to the ethnic and cultural differences between men, ascribing them to the differences of local climate. With Herder’s cultural anthropology on the one hand, and with the discovery of „deep time“ in geology by Cuvier and Buffon on the other, however, climate as a category of stable local conditions is put into question. Meteorology, geology and anthropology, as well as literary texts, start pointing out a „history of earth’s climate“ that has engraved itself on the surface of the planet. From the discovery of the ice-ages to today’s advanced forms of climate simulations, „climate“ has thus become a category that is historical and global. Refering both to human time and nature’s time, climate has been temporalized and entered the world of aesthetics. Literature and art in the modern age represent not only singular weather phaenomena but climate, e.g. in the form of allegorical or lyrical representation of the „seasons“, the depiction of weather events such as storms, thunderstorms etc. as symptoms of changing climate, in catastrophic weather but also utopic phantasies about man-made manipulations of climate. Unlike weather, however, climate is not manifest in the form of singular events but is something abstract and latent: „Climate is what you expect, weather is what you get“ (Robert Heinlein). Climate is only graspable in the form of abstract averages, expectations, and rules of thumb. It therefore has to be decyphered in historical documents and fictions as a form of latency, a „background phenomenon“. The project aims at two aspects of the aesthetic representation of climate in the modern age: On the one hand, it will outline the temporalization and „historicization“ of climate in the history of modern sciences relating to climate (geology, meteorology, anthropology) and in literary texts ranging from the 18th century to the present (project part A) . On the other hand, it will particularly focus on utopias and dystopias of erratic, extreme, and changing climate. In fictions of a changing or manipulated climate, man re-thinks his/her relation to nature as a realm of ungraspable and uncontrollable „athmosphere“ (project part B) in which human nature is deeply enmeshed. The project thus points out a genealogy of the aesthetic reflection of what has today come to be labelled the „anthropocene“: an epoch in which man has left an indelebile mark on the face of the planet.