„Versehrtes Erkennen“ – Differenzsensible Schreibstrategien im Exil bei Walter Benjamin und Siegfried Kracauer

Neuere deutsche Literatur

Matthias Schmidt

Projektlaufzeit: 36 Monate (01.01.2013 -31.12.2015)

Fördergeber:
Förderprogramm DOC der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Anhand einer Relektüre von Walter Benjamins ‚Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit‘ (1936-39) und Siegfried Kracauers ‚Geschichte – Vor den letzten Dingen‘ (1966) untersucht dieses Dissertationsprojekt spezifische Schreibstrategien, die als Reaktion auf die Bedingungen des Exils zu verstehen sind. Für diese Untersuchung soll eine Perspektive erschlossen werden, die sich aus meiner wissenschaftlichen Mitarbeit im Forschungsprojekt ‚Notwendige Verschränkungen: Postcolonial Queer‘ gewinnen ließ. Im Zuge dieses Projekts wurden die gemeinsamen theoretischen Grundlagen postkolonialer und anderer kulturwissenschaftlicher Literaturtheorien analysiert, die sich mit wissenschaftskritischem Schreiben aus minoritärer Perspektive beschäftigen. Dabei wurden drei Hauptschauplätze einer derartigen Kritik erkennbar, die mit dem Verlust vormaliger Evidenzen einhergehen: Die Entmachtung der souveränen (AutorInnen-)Identität, die Problematisierung von potenziell gewaltsamen Aspekten wissenschaftlicher Begriffssysteme und, darauf aufbauend, die Notwendigkeit, beide Aspekte in einer autoreflexiven Vorgehensweise zu verbinden. Innerhalb dieses Problemhorizontes sollen auch die exilspezifischen, von Walter Benjamin und Siegfried Kracauer entwickelten Textstrategien rekonstruiert und mit jüngeren Denkfiguren der postkolonialen Theorie kontrastiert werden. Indem in den genannten epistemologischen Verunsicherungen eine gemeinsame Basis für die theoretischen Bemühungen beider Disziplinen perspektiviert wird, versteht sich das Dissertationsprojekt als Vorarbeit für eine methodische Annäherung beider Forschungsfelder.

In Walter Benjamins ‚Kunstwerkaufsatz‘ lassen sich dahingehend elaborierte Konzepte lesbar machen, die ein nur indirekt mögliches Engagement der Intellektuellen wie auch die Verwendung gezielt unscharfer Begriffe und Argumentationstechniken verhandeln. Beide Aspekte erhellen die diffizile Struktur des Textes, die der Forschung nach wie vor Rätsel aufgibt. Im kritischen Abgleich mit Denkfiguren Jacques Derridas sollen diese Schreibweisen konturiert und diskutiert werden.
Siegfried Kracauers ‚Geschichtsbuch‘ entwickelt eine ähnlich ausgerichtete Kritik wissenschaftlichen Schreibens anhand der Konzepte der Figuration, bewusst metaphorischer Begriffsarbeit und einer vielstimmigen, narrativen Textgestalt. Vor der Folie von Trinh T. Minh-has postkolonialer Wissenschaftskritik werden diese Verfahrensweisen einer eingehenden Analyse unterzogen und als reflektierte Schreibweisen des Exils rekonstruiert.