Regionalsprachliche Syntax des Moselfränkischen

Sprachwissenschaft

Tim Kallenborn

Das Promotionsprojekt „Regionalsprachliche Syntax des Moselfränkischen“ führt zwei Forschungsrichtungen der rezenten Variationslinguistik zusammen: die bisher auf zumeist phonologische Aspekte begrenzte Analyse aller regionalsprachlichen Register zwischen den Polen Dialekt und normierter Standardsprechsprache einerseits und die bisher auf dialektale Register begrenzte Untersuchung areal gebundener syntaktischer Strukturen andererseits. Mein Projekt erhebt und analysiert dementsprechend zum ersten Mal syntaktische Daten aus allen Varietäten und Sprechlagen einer modernen Regionalsprache (zum Begriff „Regionalsprache“ vgl. SCHMIDT/HERRGEN 2011). Konkret versucht das Projekt Antworten auf die folgenden Fragen zu finden:

1.    Werden Varianten einer syntaktischen Variable in bestimmten Sprechlagen oder Varietäten häufiger verwendet als in anderen? Werden also standardkonforme Varianten in standardnahen Varietäten häufiger verwendet als in dialektalen Varietäten und vice versa?

2.    Ist es auch mit Hilfe von syntaktischen Variablen möglich, das vertikale Variationsspektrum einer ortsgebundenen Sprechergruppe in einzelne Varietäten und Sprechlagen zu gliedern, wie dies mit Hilfe phonetisch-phonologischer Kriterien möglich ist?

3.    Gibt es altersbedingte Unterschiede in den Verwendungshäufigkeiten bestimmter Varianten, die auf sich gerade vollziehende Sprachwandelprozesse hindeuten (Apparent-Time-Hypothese)?

Um diese Fragen empirisch fundiert beantworten zu können, ist geeignetes Datenmaterial nötig, dessen Erhebung im Bereich der Syntax jedoch häufig eine Vielzahl methodischer Probleme mit sich bringt (vgl. SEILER 2010). Hierzu wurde für das Promotionsprojekt ein multidimensionales Methodenset entwickelt, mit dessen Hilfe sich syntaktische Daten sowohl indirekt als auch direkt erheben lassen. Die Kombination unterschiedlicher Erhebungsmethoden minimiert dabei die Defizite einzelner Methoden und sorgt so für eine valide Datenbasis (vgl. KALLENBORN 2011.). Besonderes Augenmerk gilt dabei den für die direkte Erhebung entwickelten „Sprachproduktionsexperimenten“, die die Erhebung von evozierten Daten für bestimmte syntaktische Phänomene ermöglichen (vgl. KALLENBORN 2011a). Da in experimentellen Erhebungssituationen der Einfluss externer Störfaktoren weitgehend konstant gehalten werden kann, bieten die so erhobenen Daten ausgezeichnete Möglichkeiten zu intra- und interpersonalen Vergleichen der jeweiligen syntaktischen Konstruktionen. Als Untersuchungsgebiet wurde das Moselfränkische ausgewählt, da neuere Studien zeigen, dass dieser Dialektverband aus variationslinguistischer Sicht ein hochdynamisches Sprachgebiet innerhalb des deutschen Sprachraums ist. Zudem liegen hier fundierte Aussagen zur phonetisch-phonologischen Variation auf der Vertikalen vor (vgl. LENZ 2003). Die direkten Erhebungen fanden im Sommer 2010 im moselfränkischen Ort Graach an der Mosel statt.

Literatur

  • KALLENBORN, TIM (2011): Ein Ansatz zur Erhebung regionalsprachlicher Syntax. Überlegungen am Beispiel von Pronominaladverbien im Moselfränkischen. Erscheint in: CHRISTEN, HELEN / PATOCKA, FRANZ / ZIEGLER, EVELYN (Hgg.): Struktur, Verwendung und Wahrnehmung von Dialekt. Beiträge zum 3. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen, Zürich, 7.-9. September 2009. Wien: Praesens, 80-98.
  • KALLENBORN, TIM (2011a): Ein experimenteller Ansatz zur Erhebung regionalsprachlicher Syntaxdaten. Erscheint in: GANSWINDT, BRIGITTE / PURSCHKE, CHRISTOPH (Hgg.): Perspektiven der Variationslinguistik. Beiträge aus dem „Forum Sprachvariation“. Hildesheim/Zürich/New York: Olms (Germanistische Linguistik, 216-217), 279-304.
  • LENZ, ALEXANDRA N. (2003): Struktur und Dynamik des Substandards. Eine Studie zum Westmitteldeutschen (Wittlich/Eifel). Stuttgart: Steiner (ZDL-Beiheft 125).
  • SCHMIDT, JÜRGEN-ERICH (2010): Die modernen Regionalsprachen als Varietätenverbund. In: GILLES, PETER / ZIEGLER, EVELYN / SCHARLOTH, JOCAHIM (Hg.): Variatio delectat: Empirische Evidenzen und theoretische Passungen sprachlicher Variation. Für Klaus J. Mattheier zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main [u. a.] (Variolingua ; 37), 125-144.
  • SEILER, GUIDO (2010): Investigating language in space: Questionnaire and interview. In: AUER, PETER / SCHMIDT, JÜRGEN-ERICH (Hg.): Language and space. Vol. I: Theories and methods. Berlin/New York: de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 30), 512-528.