Projektleitung: Günther Stocker
Projektteam: Lukas Kosch Annika Schwabe
Projektlaufzeit: 01.06.2019-31.12.2022
Fördergeber:
FWF Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (P 31723)
Projektleitung Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft:
Univ.-Prof. Hajo Boomgaarden
Spätestens seit dem 18. Jahrhundert stützen sich Lesekultur und literarisches Feld auf die Kulturtechnik des konzentrierten, immersiven, sich über längere Phasen erstreckenden Lesens erzählender Texte. Dieses vertiefte Lesen (“deep reading“) wurde lange Zeit als die angemessene, gleichsam natürliche Form des Umgangs mit Romanen, Novellen und Erzählungen betrachtet. Auch wenn das „deep reading“ nie die einzige Rezeptionsform von literarischen Texten darstellte, wurde und wird es auch in der Literaturwissenschaft als die einzig adäquate vorausgesetzt. Durch die zunehmende Verbreitung von E-Books und dem Lesen auf Bildschirmen scheint diese Selbstverständlichkeit in den letzten Jahren abhanden gekommen zu sein. Auch wenn sich die Zuwachsraten des E-Book-Verkaufs eingebremst haben, so wurden im Jahr 2017 laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Deutschland immerhin über 29 Millionen digitale Bücher verkauft. Im gesellschaftlichen Alltag wie in universitären Lehrveranstaltungen sind zunehmend LeserInnen mit E-Readern oder I-Pads wahrzunehmen. Und auch in den Schulen wird diskutiert, ob nicht der Einsatz von E-Books das gedruckte Buch ablösen sollte. Nach einer zentralen These kulturwissenschaftlicher ebenso wie kommunikationswissenschaftlicher Theoriebildung gehen unterschiedliche Lesemedien aber mit einem unterschiedlichen Leseverhalten und unterschiedlichen Leseerfahrungen einher. Régis Debray formuliert pointiert: „Die Historiker des Geschriebenen wissen […], dass die Geschichte der Zeichen mit der Geschichte der Materialien beginnt. […] Es gibt keine unschuldigen Träger, jedes Material fordert seinen Preis.“1 Dieses Forschungsprojekt möchte nun der Frage nachgehen, wie sich die literarische Erfahrung verändert, wenn Texte nicht mehr in Buchform sondern auf einem Bildschirm gelesen werden. Konkret geht es dabei um Texte der erzählenden Literatur unterschiedlicher Komplexitätsgrade. Wie die Leseforschung festgestellt hat, lässt sich ein so vielschichtiges Phänomen wie das literarische Lesen nur mit einem transdisziplinären Forschungsansatz hinreichend untersuchen. Aus diesem Grund werden in diesem Projekt literaturwissenschaftliche mit kommunikationswissenschaftlichen Kompetenzen vereint. In einer Reihe empirischer Experimente soll auf der Basis von Literatur-, Lese- und Kommunikationstheorie untersucht werden, wie sich unterschiedliche Lesemedien – konkret gedrucktes Buch, E-Reader und Tablet – auf zentrale Dimensionen der literarischen Erfahrung auswirken. Die Ergebnisse werden Anhand von Fokusgruppen interpretiert und vertieft. Damit sollen wichtige Erkenntnisse für die beteiligten Wissenschaften, aber vor allem auch für die gesellschaftlichen Institutionen, die die Lesekultur tragen, also Schule, Universität, Buchhandel und Verlage, und Bibliothekswesen erbracht werden.
1 Debray, Régis: Einführung in die Mediologie. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt 2003, S. 54f.