ao. Univ.-Prof. i.R. Dr. Otto Gschwantler

Ältere deutsche Sprache und Literatur

1930-2016

Nachrufe auf Univ.-Prof. Dr. Otto Gschwantler

Am 31.Oktober 2016 ist Otto Gschwantler im 87. Lebensjahr verstorben. Obwohl ich von seiner Krankheit und seinen Leiden wusste, überraschte mich dann doch und machte mich betroffen die Nachricht von seinem Ableben. Mein letztes Telefonat mit ihm (es war im Sommer d.J.) endete mit dem hoffnungsvollen Wunsch, dass wir einander doch bald treffen sollten, doch leider kam es nicht mehr dazu.

Wer von den inzwischen emeritierten und pensionierten Kolleginnen und Kollegen Otto Gschwantler kannte, weiß, wie viel er bis zu seiner Pensionierung 1996 im Institut für Germanistik geleistet hat. Als Schüler von Otto Höfler habilitierte er sich 1971 für „Ältere Deutsche Sprache und Nordische Philologie“ und wurde bald danach zum Extraordinarius ernannt. Eine Amtsperiode leitete er in bewundernswert harmonischer Weise als Vorstand unser Institut. Ihm gelang 1992 die Errichtung der Skandinavistik als reguläres Studium nach einem nicht immer leichten und langwierigen Weg über den Studienversuch ab 1984. Inzwischen ist die Skandinavistik als Fach etabliert und Teil des 2005 neu gegründeten „Instituts für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft“. Die Herausnahme „seiner Skandinavistik“ aus der Germanistik hat Otto Gschwantler – wie er mir gelegentlich sagte – „wehgetan“ und sehr bedauert.

Otto Gschwantler war ein ungemein gewinnender und bescheidener Mensch, der sich selbst nie auffällig in den Vordergrund stellte. Umso mehr widmete er seine stille und akribische Arbeit dem Institut und seinem Fach, deren Forschungsergebnisse ihn international bekannt machten. Aus einfachen Verhältnissen einer Handwerkerfamilie in Tirol stammend erlernte er noch das Handwerk des Schuhmachers von seinem Vater, bevor er zum Studium nach München, von dort dann nach Wien ging und hier emsig und erfolgreich sein Fach der Altgermanistik studierte und dieses höchst erfolgreich mit dem Doktorat „sub auspiciis praesidentis“ abschloss. Kommunizierte er in offiziellen Situationen immer in der Standardsprache, so konnte er in privaten Runden bei allen, die daran teilnahmen, stets große Heiterkeit erregen, wenn er in unverfälschtem Tiroler Dialekt seine Erlebnisse und humorvollen Geschichten erzählte. Immer rührig und fleißig auch in der Pension hat er in den letzten Jahren sein Interesse für seinen Heimatdialekt entdeckt und mit Begeisterung darüber berichtet. Er hat in seinem Heimatort Brixen im Thale und Umgebung dialektale Sprachdaten erhoben und diese auch publiziert. Kein Wunder, dass wir bei unseren fast regelmäßigen Treffen (scherzhaft „Wirtschaftsgipfel“ genannt) über sein Fach und seine jüngsten dialektologischen Forschungsergebnisse intensiv plaudern konnten. Ergiebig und unbeschwert fröhlich waren unsere Zusammenkünfte bis zuletzt.

Nun ist er, von seinen Leiden erlöst, von uns gegangen. Mit ihm haben wir einen lieben Freund und Kollegen verloren. Er wird uns sehr fehlen.

Herbert Tatzreiter, am 7.November 2016

 

Im Wintersemester 1957/58 kam Otto Höfler (1901-1987) als Ordinarius für Ältere Deutsche Sprache und Literatur aus München nach Wien. In seiner Begleitung befand sich ein mittelgroßer, hagerer, schwarzhaariger junger Mann mit gewölbter Stirn, dem man seine alpine Heimat auf den ersten Blick ansah und bei dem man aus der Überverschiebung der stimmlosen Verschlußlaute und dem Ersatz des langen a durch lang u den Tiroler erkannte: dos werd schon gūn!

Das Geschick Otto Gschwantlers war fortan aufs Engste mit dem unseres Institutes, speziell der Altgermanistik, dann mit dem Aufbau einer Abteilung für Skandinavistik und zuletzt der Einrichtung eines eigenen Studienfachs gleichen Namens verbunden. Wir, die wir zum engsten Schülerkreis Höflers zählten, nannten uns scherzhaft die „Drachenrunde“ ‒ außer mir ist noch Peter Wiesinger einer der „Drachen“; Otto der würdigste, weil älteste Erzdrache ist allerdings gerade von uns gegangen.

Gschwantler, 1930 geboren, war etwa acht Jahre älter als die meisten von uns und besaß sehr viel Autorität. Nicht nur „äußere“, war er doch zunächst Hilfs-, dann aber bald wohlbestallter Vollassistent Höflers, der dem in Verwaltungskram unwilligen Gelehrten die ungeliebte Arbeit abnahm und das tat, was damals zum selbstverständlichen Pflichtenkreis eines Assistenten gehörte: so da ist Bibliographieren, aber auch die Bücher, etwa von der Nationalbibliothek, in Höflers Wohnung in die Garnisongasse bringen, die vielen handschriftlichen Entwürfe Höflers synoptisch im Hinblick auf eine Optimalfassung straffen, verlorene Fußnoten heraussuchen und vieles mehr. Die gegen Ende der 60er-Jahre auftretende Herr-und-Knecht-Gesinnung im „Mittelbau“, der damals noch nicht so hieß, und der Studierenden gab es noch nicht. Gerade der Umgang mit letzteren war ein anderer. Ich erinnere mich noch an einem Vorfall in meinem ersten Semester, als ich mich bei der „neugermanistischen Assistentin“ entschuldigte, ich könne nicht in eine bestimmte Proseminarsitzung kommen, weil gerade zu diesem Zeitpunkt mein Vater begraben würde. Darauf erwiderte die hier nicht zu nennende Dame, „das kann ja jeder sagen“. Und auch als ich sie auf den Trauerflor auf meinem Ärmel hinwies, kam es ihr nicht in den Sinn sich zu entschuldigen.
Höfler aber und die von ihm ausgesuchten Assistenten waren von völlig anderm Holz geschnitzt, sonst hätte ein Otto Gschwantler nicht in ihre Reihen gepaßt. Im Übrigen hatte Höfler so viel natürliche Autorität und diplomatisches Geschick, daß es zu keinen Studentenaufständen gegen ihn kam.
Gschwantler war immer loyal, er wäre aber als Landsmann Andreas Hofers nie willfährig gewesen, selbst wenn es ihm einen Vorteil gebracht hätte. So kommt es, daß mir bei dem Wort „integer“ auch heute noch spontan als erster der Name Gschwantler einfällt. Er hatte schon im Gymnasium, in das er etwas verspätet eintrat, weil er davor das väterliche Schusterhandwerk erlernte, durchwegs ausgezeichnete Noten, maturierte natürlich mit Vorzug und schloß auch bei Höfler sein Studium mit einer Arbeit über germanische Heldensage mit der Bestnote ab, so daß er sub auspiciis praesidentis promovierte. Als der damalige Bundespräsident Adolf Schärf ihm den Ehrenring verlieh ‒ den Otto später nie trug ‒, kamen sie ins Gespräch, wobei sich herausstellte, daß das Staatsoberhaupt sich sowohl in der Edda als auch in der mittelhochdeutschen Heldensage sehr gut auskannte. Zum Festakt der Promotion waren Gschwantlers Eltern und Geschwister in der Volkstracht von Brixen im Thale angereist. Damals, um 1960, konnte das noch in aller Unschuld, ja geradezu mit Selbstverständlichkeit, geschehen. Die Tracht war einfach die Festkleidung schlechthin.

Ab Mitte der 1960er Jahre hatte ich das Glück Höflers Assistent zu werden und damit mit dem bewunderten Gschwantler auf einer Stufe zu stehen. Übrigens traten bald weitere Assistenten und Assistentinnen hinzu. Gerne erinnere ich mich dieser Zeiten, etwa an das Mittagessen „beim Kroiss“, wie das Espresso im NIG damals hieß. Bald zeichnete sich ab, daß Otto Gschwantler die skandinavistische Seite seines Lehrers fortführen werde, er sprach bereits Schwedisch und beherrschte auch die anderen skandinavischen Idiome, hatte sich inzwischen auch für Skandinavistik habilitiert und konnte nun, angeregt durch Höfler, aber auch aus eigenem Interesse das „Studienfach Skandinavistik“ aufbauen, wobei er selbst zunächst die Altskandinavistik, inklusive Saga-, Edda- und Runenkunde, vertrat. Neben der germanischen Heldensage interessierte ihn besonders die Bekehrungsgeschichte der Germanen und der religiöse Synkretismus der späten Heidenzeit mit höchst bemerkenswerten Ausprägungen in den zeitgenössischen Runeninschriften. Wesentliche Unterstützung beim Aufbau des Faches erfuhr er von dem Organisationstalent Imbi Sooman, die ursprünglich als Schwedischlektorin ans Institut gekommen war. Später wurden auch neuskandinavistische Lehrkräfte im Professorenrang installiert.

Das gesellige Leben in der Älteren Abteilung und Skandinavistik blühte am Institut auf: Geburtstagsfeste, Faschingsfeiern am Institut, Gschnasfeste und Heurigenbesuche wechselten einander in buntem Reigen ab. Und so wie der Begriff der Integrität bei mir am Namen Otto Gschwantlers hängt, so der des unbeschwerten Frohsinns und einer in der Tiefe seiner Person angelegten Heiterkeit, die alle in ihren Bann zog. Der lachende Otto nimmt in meiner Fotosammlung einen ganz großen Raum ein. Damals erschien die Jux-Festschrift Arcana Cryptonordica ‒ zwei „ernste“ quasi konkurrierende Festschriften zum 60 Geburtstag sollten später folgen.

Allerdings hatte mein lieber Freund nicht nur diese strahlenden Seiten. Zutiefst ehrlich, wie er war, neigte er auch dazu, sich manchmal selbst zu unterschätzen und dort zu zögern, wo ein klares Wort erwartet wurde. Aber das geschah immer aus entgegenkommender Bedachtnahme auf die Interessen anderer, indem er die eigenen Vorteile und das eigene Prestige eher zurücktreten ließ. Ich weiß nicht, wie man das Gegenteil von einem Ellenbogenmenschen nennen kann ‒ vielleicht „einen Gschwantler“ ‒?

Otto war während seiner aktiven Zeit eigentlich immer gesund. Sein Unglück, das dem ans Herz greift, der es mitansehen mußte, begann mit einem Rodelunfall. Immer ein begeisterter Winter- und Bergsportler hatte er eine Rennrodel als Geschenk bekommen und probierte diese auf der für den öffentlichen Verkehr gesperrten Straße seines Brixener Hausbergs, der Hohen Salve, aus. Dabei raste er in den bergauf fahrenden Kleintransporter des Hüttenwirts, der als einziger die Erlaubnis besitzt, die Straße mit einem Motorfahrzeug zu befahren. Otto erwies sich mit zerschmetterten Knieen als der Schwächere. Danach setzten auch weitere Leiden ein, insbesondere die furchtbare Parkinson-Krankheit, der mein Freund letztlich erlegen ist, eine Erlösung, von der ich nicht weiß, ob ich sie ihm schon früher gewünscht hätte. Deshalb nämlich, weil Otto, der fest im kirchlich-katholischen Glauben stand und dadurch wahrscheinlich seinem gewaltigen Leid einen tieferen Sinn zuschreiben konnte, eben in seinem Siechtum ein von höherer Stelle verordnetes Martyrium zu erkennen glaubte, das es anzunehmen gälte. Trotz seines jahrzehntelangen Leidens, das seine Frau Gertraud hingebungsvoll und geduldig mit ihm ertrug, und der damit einhergehenden Insuffizienzen haben wir ‒ auch meine Frau, die Otto nicht minder schätzte und liebte, als ich ‒ mit ihm ‒ oder besser er mit uns ‒ Kontakt gehalten. Mit seiner Frau und einigen Otto besonders lieben Persönlichkeiten des Instituts, seiner alten Welt gleichsam, haben wir seine Geburtstage gefeiert, obwohl uns der Anblick des Geburtstagskindes ins Herz schnitt. Manchmal rief Otto auch bei uns an, aber die telefonische Verständigung war kaum mehr möglich, so daß der Kranke von selbst auflegte ‒ oder war ihm das Telefon aus der Hand gefallen?

Als ich durch einen Freund, den Bonner Skandinavisten und ehemaligen Gschwantler-Schüler Rudy Simek von Ottos Tod erfuhr, wußte ich nicht, ob ich traurig oder eher freudvoll sein sollte, daß seine Leiden zu Ende sind. Wenn nach diesem Leben noch etwas ist, so wird es einem so integren und lieben Menschen wie unserm Otto gewiß nicht schlechter gehen als in der Welt, die er jetzt verlassen durfte. Wenn aber nichts ist, so hat er doch sein unsägliches Leid enden dürfen und wird in unser aller Gedächtnis als ein sehr kluger, reinherziger und edler Mensch in Erinnerung bleiben, der so gerne lachte.

Helmut Birkhan Wien, 13. November 2016

Curriculum vitae

Publikationsverzeichnis

Aktivitäten

Virtuelle Bibliothek

Lehrveranstaltungen 1997W

Lehrveranstaltungen 1996W

Lehrveranstaltungen 1995W

Alle bisherigen Lehrveranstaltungen im Vorlesungsverzeichnis