Forschungsseminar Austrian Studies: Österreichische Essayistik vom Fin de Siècle bis zur Gegenwart
100222 FS 2024W
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Donnerstag, 17.10.2024 13:15-14:45 Seminarraum I Germanistik Hauptgebäude, 1.Zwischengeschoß, Stiege 7a über Stiege 9
Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung
Der Essay ist eine Form, in der Wissen und Erfahrungen nicht nach Registern und Disziplinen getrennt erscheinen, sondern in ihrem wechselseitigen Zusammenspiel. Der Essay steht am Übergang zwischen dem intuitiv Fiktionalen und dem intellektuell Konstruierten, zwischen den Begriffen und dem Anschaulichen. Er hält sich gleich fern von den selbstbezogenen wissenschaftlichen Disziplinierungen wie von eindeutig identifizierbaren literarischen Formen. Kennzeichnend für ihn ist der spielerische Umgang mit den Genres der Kunst und der Wissenschaft, der ihre Grenzen aufweicht.
Ein wesentliches Merkmal des Essays ist die Liebe zum Detail. An den Einzelheiten, nicht am großen Ganzen gewinnt er seine Erkenntnisse. Damit verbunden ist das Bewusstsein, dass das, was für wahr gehalten wird, einem geschichtlichen Wandel unterworfen ist. Besonders der Essay des 20. Jahrhunderts widersetzt sich durch seine Vorliebe für das Paradoxe, für Antinomien, für extreme Pointierung, für das Lakonisch-Fragmentarische einer einheitlichen Weltsicht.
Der Essay erweist sich als ein Genre, das mit der Moderne aufs innigste verschwistert ist. Die durch die Modernisierungsschübe vorangetriebene Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die zunehmende Fragmentierung der Wahrnehmung und des Wissens spiegelt sich in seinen Themen und Formen. Zugleich wird der Essayismus als Offenheit der Rede und Widerrede, als Beweglichkeit eines unabschließbaren Denkprozesses zum intellektuellen – und oft auch existenziellen – Programm.
Das Seminar stellt die Frage, welche Besonderheiten ausgewählte Essays aus Österreich seit der vorletzten Jahrhundertwende aufweisen. Welche Rolle spielen die österreichische Geschichte und österreichische literarische Traditionen für die moderne österreichische Essayistik? Wie positionieren sich österreichische Essayist*innen im literarischen, kulturellen sowie innen- und außenpolitischen Umfeld? Welche argumentativen Funktionen kommen dabei der Ästhetik zu?
Die ausgewählten Essays sollen in ihrem Verhältnis zu den verwandten Formen der Festrede, des Feuilletons, des Aphorismus, der Satire und der Polemik betrachtet werden. Dominante Themen und Topoi, rhetorische Mittel und Argumentationsstrategien sollen herausgearbeitet werden.
Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel
Schriftliche Beiträge aller Lehrveranstaltungstypen der SPL 10 können einer automatischen Plagiatsprüfung unterzogen werden; dazu zählen insbesondere Arbeiten der Pro-, Bachelor- und Masterseminarstufe, aber auch Lehrveranstaltungsprüfungen (z.B. Vorlesungsprüfung) und Teilprüfungen (z.B. Zwischentest, 'Hausübungen').
Gefordert sind:
- Anwesenheit, Teilnahme an den Diskussionen in Kleingruppen und im Plenum
- Impulsreferat incl. PPP, Verfassen eines Handouts, Formulierung von vier Leitfragen, Diskussionsleitung
- Seminararbeit im Umfang von 25 Seiten Haupttext, Abgabe bis spätesten 15. 4. 2025 in gedruckter und elektronischer Form.
Literatur
Zum Essay:
• Theodor W. Adorno: Der Essay als Form. In: ders.: Noten zur Literatur. Frankfurt/M. 1981, S. 9-33.• Michael Ansel, Jürgen Egyptien, Hans-Edwin Friedrich (Hg.): Der Essay als Universalgattung des Zeitalters. Diskurse, Themen und Positionen zwischen Jahrhundertwende und Nachkriegszeit. Leiden, Boston: Brill 2016 (=Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Bd. 88).
• Mario Aquilina, Nicole B.Wallack, Bob Cowser (Hg.): The Edinburgh companion to the essay. Edinburgh: Edinburgh University Press 2023.
• Bachmann, Dieter: Essay und Essayismus. Stuttgart [u.a.] 1969.
• Baumgart, Reinhard: Die Jünger des Interessanten. In: Merkur 11/1957, S. 599-604.
• Bense, Max: Über den Essay und seine Prosa [1952]. In: Ludwig Rohner (Hg.): Deutsche Essays. Prosa aus zwei Jahrhunderten. Bd. 1. Neuwied, Berlin 1968, S. 54-68.
• Bolz, Norbert: Essay. In: Literatur-Lexikon. Hg. v. Walther Killy. Bd. 13: Begriffe, Realien, Methoden. Hg. v. Volker Meid. München 1992, S. 269-272.
• Butrym, Alexander J.: Essays on the Essay. Redefining the Genre. Athen, London 1989.
• de Obaldia, Claire: The Essayistik Spirit. Literature, Modern Criticism, and the Essay. Oxford 1995.
• Haas, Gerhard: Essay. Stuttgart 1969.
• Jander, Simon: Die Poetisierung des Essays. Rudolf Kassner - Hugo von Hofmannsthal - Gottfried Benn. Heidelberg 2008.
• Kähler, Hermann: Von Hofmannsthal bis Benjamin. Ein Streifzug durch die Essayistik der zwanziger Jahre. Berlin, Weimar 1982.
• König, Christoph: Philologie der Poesie. Von Goethe bis Peter Szondi. Berlin : Akad.-Verl. 2014.
• Lukács, Georg: Über Wesen und Form des Essays [1910]. In: ders.: Die Seele und die Formen. Neuwied, Berlin 1971, S. 7-31.
• Martini, Fritz: Essay. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Begr. v. Paul Merker und Wolfgang Stammler. 2. Aufl., Bd. 1: A-K. Hg. v. Werner Kohlschmidt. Unveränd. Neuausg. Berlin u.a. 2001, S. 408-410.
• Müller-Funk, Wolfgang: Erfahrung und Experiment. Studien zu Theorie und Geschichte des Essayismus. Berlin 1995.
• Pfammatter, René: Essay - Anspruch und Möglichkeit. Plädoyer für die Erkenntniskraft einer unwissenschaftlichen Darstellungsform. Hamburg 2002.
• Rohner, Ludwig: Der deutsche Essay. Materialien zur Geschichte und Ästhetik einer literarischen Gattung. Neuwied 1966.
• Schärf, Christian: Geschichte des Essays. Von Montaigne bis Adorno. Göttingen 1999.
• Schlaffer, Hannelore: Der kulturkonservative Essay im 20. Jahrhundet. In: dies., Heinz Schlaffer (Hg.): Studien zum ästhetischen Historismus. Frankfurt/M. 1975, S. 140-173.
• Schlaffer, Heinz: Essay. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. von Klaus Weimar. Bd 1: A-G. Berlin, New York 1997, S. 522-525.
• Wahl, Verena: Lüge - Essay – Persuasion. Deutschsprachige Gegenwartsessayistik seit 2001 aus Sicht von Kommunikations- und Literaturwissenschaft sowie Philosophie. Wien (Diss.) 2007.
Zu Rhetorik und Argumentation:
• Bischoff, Doerte (Hg.): Weibliche Rede - Rhetorik der Weiblichkeit. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Geschlechterdifferenz. Freiburg i. Br. 2003.
• Coenen, Hans Georg: Analogie und Metapher. Grundlegung einer Theorie der bildlichen Rede. Berlin (u.a.) 2002.
• Dörpinghaus, Andreas (Hg.): Topik und Argumentation. Würzburg 2004.
• Göttert, Karl-Heinz: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe - Geschichte - Rezeption. 3. Aufl. München 1998. (= Uni-Taschenbücher 1599.).
• Haverkamp, Anselm: Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs. München 2007.
• Jost, Jörg: Topos und Metapher. Zur Pragmatik und Rhetorik des Verständlichmachens. Heidelberg 2007.
• Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. 3. Aufl. mit e. Vorw. von Arnold Arens. Stuttgart 1990.
• Pankau, Johannes G. (Hg.): Literatur - Rhetorik – Poetik. Tübingen 2000.
• Ueding, Gert/ Steinbrink, Bernd: Grundriß der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode. 3., überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart (u.a.) 1994.
Prüfungsstoff
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung
Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen aus dem Angebot der SPL10 sind grundsätzlich anwesenheitspflichtig. Maximal zweimaliges Fehlen ist erlaubt. Eine konsequenzlose Abmeldung ist bei wöchentlichen Lehrveranstaltungen bis vor der dritten LV-Einheit möglich, bei 14-tägigen Lehrveranstaltungen und Blöcken bis vor dem zweiten Termin.
Umfang der Abschlussarbeiten: Seminararbeiten 25 Seiten HaupttextAnforderungen und Beurteilungskriterien:- Aktive Teilnahme an sämtlichen Sitzungen durch Fragen und Diskussionsbeiträge
- Klare Struktur und wirkungsvolle Technik des Impulsvortrags
- Handout: effizient und konzise aufbereitete Informationen, klare Struktur, Auswahl markanter, aussagekräftiger Zitate
- Leitfragen: Relevante, offene Fragen, Bevorzugung kontroverser Fragestellungen
- Umsichtige Diskussionsleitung, die Impulse setzt, ohne die Diskussion rigide zu steuern.Beurteilungskriterien für die Seminararbeiten:Forschungsstand
- Reflektierte Kenntnis des Forschungsstands
- Angemessenheit der Auswahl der zitierten Literatur
- Wissenschaftlichkeit der Quellen (Lexika, Monographien, Aufsätze etc.)
- Konsistente Einbettung in den aktuellen ForschungsstandTheorie und Methode
- Präzisierung von Fragestellung(en), Ziel(en) und/oder Hypothese(n)
- Klarheit und Nachvollziehbarkeit der Formulierung und Begriffsverwendung
- Erklärung und Begründung des methodischen Vorgehens
- Gegenstandsangemessenheit des methodischen oder theoretischen Paradigmas
- Methodische und theoretische ProblembewusstheitStruktur und Aufbau
- Plausibilität der Gesamtstruktur der Arbeit
- Stimmigkeit der jeweiligen Abschnitte in sich
- Logische Abstimmung und Balance der Abschnitte untereinander (Textkohärenz und -kohäsion)
- Plausible Rahmung durch Einleitung und Schluss________
100-90 P. = 1
89-80 P. = 2
79-70 P. = 3
69-60 P. = 4
59-0 P. = 5
Abkürzungen: ÄdL: Ältere deutsche Sprache und Literatur – DaF/Z: Deutsch als Fremd- und Zweitsprache – FD: Fachdidaktik Deutsch – NdL: Neuere deutsche Literatur – SpraWi: Sprachwissenschaft