Bachelorseminar Neuere deutsche Literatur
Der schlafende Riese. Das Fortwirken aufklärerischer Reformen
100167 SE-B 2025S
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Donnerstag, 08.05.2025 18:30-20:00 Seminarraum 4 Hauptgebäude, Tiefparterre Stiege 9 Hof 5
Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung
Warum muss man sich den Nachwirkungen der Aufklärung transdisziplinär nähern? Die
Literaten des frühen 19. Jahrhunderts waren zum Großteil Beamte der Monarchie
(Bauernfeld, Grillparzer, Stifter). Ihr Verständnis von Literaturproduktion wurde
auf mehreren Ebenen durch das aufgeklärte Reformprojekt Maria Theresias und Joseph II.
geprägt. Erstens beziehen sich die Diskussionen um das Urheberrecht, die den
Dramatikern und Literaten das finanzielle Auskommen durch Tantiemen ermöglichen
sollte, wiederholt auf josephinische Reformen. Zweitens waren Lehrbücher zur Ausbildung
der habsburgischen Beamtenschaft, die sowohl den Stil der Bürokratie als auch die
Auffassungen über den staatsbürgerlichen Genuss gleicher Rechte und das allgemeine
Beste prägten, von den 1780er Jahren bis 1848 im Einsatz (Joseph von Sonnenfels‘ Über
den Geschäftsstil, Grundsätze der Polizey, Handlung und Finanz ). Drittens werden
zahlreiche Sujets der josephinischen Aufklärung in der Literatur des frühen 19.
Jahrhunderts anverwandelt, so wird etwa in Grillparzers berühmtester Novelle Der arme
Spielmann der Sohn eines Hofrates geschildert, dessen Auffassung von künstlerischer
Betätigung („so viel Kunsteifer bei so viel Unbeholfenheit“) von bürokratischer Neben-
und Untätigkeit charakterisiert wird. Ferdinand Raimunds Astralagus in Der Alpenkönig
und der Menschenfeind ist als Wiedergänger josephinischer Herrscherpanegyrik
interpretierbar und Sebastian Brunners Künstlerromane Diogenes von Azzelbrunn und
Des Genies Malheur und Glück spannen die aufgeklärte Geniekritik gegen den politisch
aus der Aufklärung hergeleiteten Liberalismus mit seinen sozialen, sittlichen und
ästhetischen Verwerfungen ein. Viertens sind Techniken, poetologische Finessen und
Spezifika der österreichischen Literatur aus dem Reservoir der josephinischen Tradition
(anhaltende Wieland-Begeisterung, erfahrungsseelenkundliche Handlungsmotivierung,
Bildungsromanskepsis, kreativ-komische Katachresen barocker Allegorik) ableitbar, die
wiederum auch das Selbst- und Menschenbild der österreichischen Intelligenz des frühen
19. Jahrhunderts maßgeblich mitformte (vgl. Stifters Wien und die Wiener mit seinem
Bestiarium der Wiener Gebildeten, dessen Artenvielfalt – Altjosephiner, Dandys, Narren
und Philistern – er anhand des Lesegeschmacks der verschiedenen Spezies
ausbuchstabiert). Fünftens sind die Salons dieser Zeit nur vordergründig von einem
bieder-fügsamen Frauenbild geprägt, die bekannteste Salonnière Wiens, Caroline Pichler,
war – während sie ein hausbacken-kreuzbraves Hausfrauen-Image pflegte –international
bekannt und lebte vom Verkaufserlös ihrer Werke. In ihrer Biographie berief sie sich auf
die emanzipatorische Wirkung Maria Theresias und auf die gesamte Palette
vaterländischer Kunstproduktion (Musik, bildende Kunst). Sechstens lässt sich der
Reformimpuls Josephs II. auch als Ausgangspunkt für die rivalisierenden nationalen
Wiedergeburtsbewegungen untersuchen, die im habsburgischen Milieu des frühen 19.
Jahrhunderts entstanden. Es wurde versucht, Joseph II. retrospektiv zu
instrumentalisieren und sein Vermächtnis als „deutscher“ bzw. deutsch-nationaler Fürst
zu vereinnahmen. Joseph von Hormayr, Caroline Pichler, Matthäus und Heinrich Joseph
von Collin verstanden es, die Widersprüche des offiziösen habsburgischen Staatsmythos
zu exponieren und Joseph II., je nach Agenda, als schwarzes Schaf der Dynastie oder
unentbehrlichen Urheber des modernen Staats darzustellen, um auf diese Weise ihre
Deutungs- und somit Handlungsspielräume zu erweitern.
Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel
Schriftliche Beiträge aller Lehrveranstaltungstypen der SPL 10 können einer automatischen Plagiatsprüfung unterzogen werden; dazu zählen insbesondere Arbeiten der Pro-, Bachelor- und Masterseminarstufe, aber auch Lehrveranstaltungsprüfungen (z.B. Vorlesungsprüfung) und Teilprüfungen (z.B. Zwischentest, 'Hausübungen').
Literatur
Bibliographie wird in der ersten Sitzung bekannt gegeben.
Prüfungsstoff
Regelmäßige aktive Teilnahme und Präsentation von
Zwischenergebnissen. (20 %)
Bachelorarbeit (80%)
Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen aus dem Angebot der SPL10 sind grundsätzlich anwesenheitspflichtig. Maximal zweimaliges Fehlen ist erlaubt. Eine konsequenzlose Abmeldung ist bei wöchentlichen Lehrveranstaltungen bis vor der dritten LV-Einheit möglich, bei 14-tägigen Lehrveranstaltungen und Blöcken bis vor dem zweiten Termin.
Umfang der Abschlussarbeiten: Bachelorarbeiten 30 Seiten HaupttextDas Hauptgewicht der Beurteilung liegt auf der schriftlichen Bachelorarbeit.
Abkürzungen: ÄdL: Ältere deutsche Sprache und Literatur – DaF/Z: Deutsch als Fremd- und Zweitsprache – FD: Fachdidaktik Deutsch – NdL: Neuere deutsche Literatur – SpraWi: Sprachwissenschaft