Vorlesungs­verzeichnis

NdL: Zählen und Erzählen

100167 SE-B 2022W

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Moodle

Vortragende:

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Spätestens seit dem Bekanntwerden der widerrechtlichen Nutzung von Facebook-Daten durch Cambridge Analytica im amerikanischen Wahlkampf (2016) und der Etablierung des Systems des ‚Sozialkredits‘ in China sind die Gefahren von Big Data zu einem intensiv diskutierten, öffentlichen Thema avanciert. Ansatzpunkt des Seminars ist der Umstand, dass die Digitalisierung in dieser in ihren Folgen noch nicht abschätzbaren Transformation eine zentrale Rolle spielt. Die aktuelle Quantifizierung des Sozialen und hiermit verbundener Technologien der Subjektivierung stellt bei genauerem Hinsehen jedoch nur eine weitere Etappe in der Geschichte des Messens, Zählens und Berechnens, der Mathematik und Statistik, des Kalkulierens und des quantitativ gestützten ‚Beweisens‘ und Bewertens dar, die von der Geschichte der Zivilisationen, der Herausbildung des rationalen Weltbildes sowie der Aufklärung (und ihrer Dialektik) nicht zu trennen ist. Die Geschichte der gezählten Klicks & Likes und Downloads sowie der Selbstoptimierung durch Self-Tracking oder Lifelogging weist einschließlich der Nutzung dieser Daten folglich eine aufschlussreiche Vorgeschichte auf. Die Erinnerung an diese Vorgeschichte erfolgt im Seminar nicht nur mit Blick auf gesellschaftspolitische Perspektiven, sondern vor allem im Hinblick auf die Herausforderung, von den Praktiken, den Schauplätzen und den Folgen des Zählens zu erzählen.
Das Seminar konzentriert sich auf einen bestimmten Zeitraum und auf ausgewählte Aspekte in dieser Geschichte des Zählen und Erzählers: Es setzt bei den sich um 1800 herausbildenden Praktiken der ‚Bewirtschaftung‘ menschlicher Ressourcen an, die unter dem von Michel Foucault geprägten Begriff der Biopolitik bekannt geworden sind und den Grundstein für die Karriere des Kosten-Nutzen-Denkens im Hinblick auf einzelne Individuen (Intelligenz-, Eignungs-, Persönlichkeits- und Bildungstests usw.) und auf Bevölkerungen als Ganzes (‚Rassenforschung‘, Sozialversicherung versus Gesundheitsökonomie usw.) legten. Es zieht sodann den Bogen über das 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert (‚marxistisches‘ Erzählen; literarische und mathematische Moderne; Taylorismus und Fordismus), setzt einen weiteren Schwerpunkt in der frühen Nachkriegszeit (Etablierung des Marketing, der Markt- und Meinungsforschung; Statistik, Subjektivierung und Erzählen; Zahlenlyrik), um vor diesem Hintergrund zu aktuellen Entwicklungen und literarischen Antworten hierauf zurückzukehren.

Die Lehrveranstaltung verfolgt zwei Ziele:

1) Zum einen zielt sie auf die Vermittlung und selbständige Erarbeitung von literatur- und kulturhistorischem Wissen bezüglich der im Zentrum stehenden Fragestellung, die auf dem Zugang der kulturwissenschaftlichen Germanistik basiert.

2) Zum anderen zielt das BA-Seminar auf das Erwerben praktischer Kompetenzen des selbständigen wissenschaftlichen Arbeitens, wobei die grundlegenden Arbeitsschritte (unterstützte Themenfindung; Erstellung eines Exposés, inklusive klarer Fragestellung und Methodik sowie einer Bibliografie relevanter Forschungsliteratur) thematisiert, diskutiert und Schritt für Schritt mit Unterstützung durch die LV-Leiterin und in themenbezogenen Arbeitsgruppen umgesetzt werden. Ziel und letzter Arbeitsschritt dieses Prozesses ist die selbständige Abfassung der BA-Arbeit.

Die Lehrveranstaltung beginnt mit mehreren Sitzungen, in denen auf der Basis selbständiger Vorbereitung wichtige theoretische und thematisch einführende Grundlagen gemeinsam erarbeitet werden. Im Anschluss folgen Termine, die der gemeinsamen Lektüre und Diskussion literarischer Schlüsseltexte gewidmet sind. Diese Termine werden durch Überblicke und Hilfestellungen zu den verschiedenen Bereichen wissenschaftlichen Arbeitens (literatur- und kulturwissenschaftliche Methodik, Bibliografieren, Themenspezifizierung, Strukturierung der schriftlichen Abschlussarbeit) ergänzt. Die letzten Termine sind der Präsentation und Diskussion der erarbeiteten Exposés gewidmet.

 

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

- Regelmäßige Anwesenheit (max. drei Fehlstunden; prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen aus dem Angebot der SPL10 sind grundsätzlich anwesenheitspflichtig); sollte der Umstieg auf digitale Lehre nötig sein, ist die Einschaltung von Kamera und Ton verpflichtend

- Vollständige und termingerechte Lektüre der Pflichtliteratur (Lektürenotizen), verpflichtend für alle TeilnehmerInnen für alle LV-Einheiten; wenn die Vorbereitung aus besonderen Gründen einmal nicht möglich ist, ist dies zu Beginn der Stunde eigeninitiativ bekanntzugeben

- Aktive mündliche Mitarbeit in Plenums- und Gruppendiskussionen

- Exposé inklusive Bibliografie, Abgabe während des Semesters

- Übernahme der ExpertInnen-Rolle für eine oder zwei LV-Einheit/en (abhängig von TeilnehmerInnen-Anzahl)

- Schriftliche Abschlussarbeit (30 Seiten Haupttext; Abgabe bis 28.2.2023)

Schriftliche Beiträge aller Lehrveranstaltungstypen der SPL 10 können einer automatischen Plagiatsprüfung unterzogen werden; dazu zählen insbesondere Arbeiten der Pro-, Bachelor- und Masterseminarstufe, aber auch Lehrveranstaltungsprüfungen (z.B. Vorlesungsprüfung) und Teilprüfungen (z.B. Zwischentest, 'Hausübungen').

 

Literatur

Eine ausführliche Liste der Primär- und Sekundärliteratur wird in der ersten LV-Einheit ausgehändigt und ist – inklusive der wichtigsten Texte – ab dann auf moodle zugänglich.

 

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Die Gesamtnote wird aus den oben angeführten Teilleistungen (1. schriftliche Abschlussarbeit = Bachelorarbeit, 2. Exposé, 3. ExpertInnen-Rolle, 4. mündliche Mitarbeit) errechnet, wobei die Punkte 1 bis 3 die Mindestanforderung (1. positive Abschlussarbeit, 2. Exposé, 3. ExpertInnen-Rolle) darstellen.

Da das Konzept des Seminars auf kontinuierlicher Vorbereitung und Mitarbeit basiert und auf den schrittweisen, dialogischen Aufbau von (für die SE-Arbeit) relevantem Wissen zielt, wird sehr empfohlen, ein hohes Interesse für das Thema, für gesellschaftstheoretische und -politische Fragestellungen sowie die Bereitschaft zur intensiven Auseinandersetzung mit theoretischen und literarischen Texten mitzubringen.