Vorlesungs­verzeichnis

NdL: Hybride Formen des Erzählens: das Interview

100152 PS 2022S

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Vortragende:

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Ziele:
In diesem Proseminar beleuchten wir hybride Formen des Erzählens am Beispiel des (literarischen) Interviews. Das Interview soll in seiner Schnittstellenfunktion zwischen Literatur als Kunstform und Medien/Öffentlichkeit in Bezug auf deren neue respektive innovative Konzeption von Erzählstimmen, Authentizität, Identität und Aufmerksamkeitsökonomien untersucht werden. Dabei wollen wir unser langjähriges Praxiswissen aus Journalismus und Wissenschaft kombinieren und als Wissensfeld zur Verfügung stellen.
Ziel ist es, literaturwissenschaftliche Arbeitsmethoden in der Analyse intermedialer Formen des Erzählens anzuwenden und aktuelle Interpretationsformate im Kontext von Fakt/Fake und Fiktion zu bewerten, darüber hinaus in historische Zeitzusammenhänge einzuordnen und soziokulturelle Hintergründe zu erkennen.
Die Studierenden erweitern ihr Wissen über an die Literaturwissenschaft angrenzende Berufsfelder und werden so an Themenstellungen herangeführt, die jenseits ausgetretener Pfade die Gegenwartsliteratur neu und aus unerwarteter Perspektive in den Blick nehmen, um Fragen für Folgeforschungen zu öffnen und zu erarbeiten.
Inhalt
Das Interview als Quelle literarischen Wissens und hybrides Medium zwischen Literaturwissenschaft, Kritik und Meta-Erzählung erlebte in den vergangenen 50 Jahren eine beispiellose Karriere. Belegt ist die Diskursform jedoch bereits der Mitte des 19. Jahrhunderts; ihre Wirkungshistorie sowie deren Einfluss auf den öffentlichen Dialog über Literatur und Literaturwissenschaft zeichnet eine so bewegte wie unübersehbare Chronik in zahllosen, im Dialog von Frage und Antwort entstandenen narrativen Räumen aus.
In diesem Proseminar wollen wir uns dem Interview als einer kulturellen Wissens-Technik als auch einer kritischen ästhetischen Standardform nähern. Wir nehmen dabei maßgebliche Interviews der Literatur- wie Mediengeschichte aus jüngster Vergangenheit in ihren narrativen Positionen in den Blick. Wir gehen zum einen ihrer öffentlichen Wirkung nach – untersuchen in einem doppelten Analyseschritt aber auch ihre strukturelle Initiative.
Besonderes Augenmerk legen wir dabei auf dem Interview als komplexer Fragetechnik sowie als hybrides literarisches Modell, das neue Perspektiven auf Themen wie Authentizität, Identität, Rollenspiel und Täuschung eröffnet. In einer Art doppeltem Cursus untersuchen wir zudem die Inszenierung der Frageform 'Interview' innerhalb dramatischer und narratologischer Formen – in Drama und Epik.
Im Kontext öffentlicher Debatten soll schließlich diskutiert werden, durch welche öffentlichen Diskursverschiebungen Interviews Skandalisierungen unterzogen wurden und werden – und, daraus folgend, wie Interviews an der Ökonomie allgemeiner Aufmerksamkeit partizipieren. Wir nähern uns dabei unterschiedlichen medialen Formen, darunter Radio-Interviews, Talk-Show-Gesprächen, Round-Table-Unternehmungen und via Tonband aufgenommenen, transkribierten und von den jeweiligen Gesprächspartnern autorisierten Interviews – mit Schwerpunkt der Differenzierung zwischen mündlichem Dialog und schriftlicher Endfassung; anhand praktischer Beispiele tatsächlicher geführter und publiziert-autorisierter Interviews mit Autorinnen und Autoren soll dabei eine Art Modelluntersuchung des Zusammentreffens zweier Diskursformen erfolgen.
Methode:
Im Zentrum der LV steht die gemeinsame Lektüre, sowie ein fragegeleitetes, kooperatives und kumulatives Lernen und Lesen. Wir lernen über die Biografie-Forschung (regelrecht im Gespräch); es werden neue Felder der Quellenarbeit via Intertextualität erschlossen: Interviews, dies nicht zu vergessen, können verführen, zu Emotionalisierung führen, einen mit mehr Fragen als Antworten zurücklassen. Sie kontrollieren und inszenieren nicht nur Informationen, sondern umkreisen Authentifizierung und Personifizierung, unerschlossenen unerschlossenen (Spiel-)Raum des Geschehens an der Grenze von Privatraum und Öffentlichkeit. Gastvorträge ergänzen die LV.

 

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Teilleistungen:
1.) Anwesenheit (häufige Verspätungen und/oder zu frühes Gehen werden als Abwesenheit gewertet), drei Einheiten können entschuldigt versäumt werden
2.) Teilnahme (40%): aktive mündliche und schriftliche Mitarbeit, Übernahme eines Impulsreferats/bzw. ExpertInnenrolle; Hausübungen.
3.) PS-Abschlussarbeit (60 %). Fälligkeit 29.06.2022.

 

Literatur

Literatur (Auswahl):
Andree, Martin. Archäologie der Medienwirkung: Faszinationstypen von der Antike bis heute; (Simulation, Spannung, Fiktionalität, Authentizität, Unmittelbarkeit, Geheimnis, Ursprung). München: Fink, 2005.

Brecht, Berthold. Leben des Galilei. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1963.

Burroughs, William. Conversations with William S. Burroughs. Hg. v. Allen Hibbard. Jackson: UP of Mississippi, 1999.

Calvino, Italo. ‘Cybernetics and Ghosts’. Italo Calvino: The Uses of Literature. San Diego, New York, and London: Harcourt Brace & Co., 1986, S. 3–27.

Dünne, Jörg u. Christian Moser (Hg.). Automedialität: Subjektkonstitution in Schrift, Bild und Neuen Medien. Paderborn: Fink, 2008.

English, James F. The Economy of Prestige: Prizes, Awards, and the Circulation of Cultural Value. Cambridge, MA: Harvard UP, 2005.

Fontana, Andrea, u. James H. Frey. ‘The Interview from Neutral Stance to Political Involvement’. The SAGE Handbook of Qualitative Research. 3rd edn, Hg. v. Norman K. Denzin u. Yvonna S. Lincoln, Thousand Oaks, CA and London: SAGE, 2005, S. 695–727.

Franck, Georg. Ökonomie der Aufmerksamkeit: ein Entwurf. München, Wien: Hanser, 2001.

Goffman, Erving. Interaktionsrituale: Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2005.

Goffman, Erving. The Presentation of Self in Everyday Life. New York: Doubleday, 1959.

Hayles, N. Katherine. How We Think: Digital Media and Contemporary Technogenesis. Chicago: Chicago UP, 2012.
Hoffmann, Torsten. Echt inszeniert: Interviews in Literatur und Literaturbetrieb. Paderborn: Wilhelm Fink, 2014.

Rancière, Jacques, Richard Steurer-Boulard, u. Peter Engelmann. Der emanzipierte Zuschauer. Dt. Erstausg., 2., überarb. Aufl. Wien: Passagen-Verl., 2015.

Reiger, Horst. Face-to-Face Interaktion: ein Beitrag zur Soziologie Erving Goffmans. 2., durchges. Aufl. Lang, 1997.

Roach, Rebecca. Literature and the Rise of the Interview. Oxford: Oxford University Press, 2018.

Rodden, John. Performing the Literary Interview: How Writers Craft Their Public Selves. Lincoln, NE: U of Nebraska P, 2001.

Rose, Nikolas. Governing the Soul: The Shaping of the Private Self. London Routledge, 1990.

Thummes, Kerstin. Täuschung in der strategischen Kommunikation: eine kommunikationswissenschaftliche Analyse. Wiesbaden: Springer 2013.

Zeller, Christoph. Ästhetik des Authentischen: Literatur und Kunst um 1970. Berlin; New York: De Gruyter, 2010.

 

Prüfungsstoff

Besprochende Literatur und Lehrveranstaltungsinhalte.

 

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen aus dem Angebot der SPL10 sind grundsätzlich anwesenheitspflichtig.

Umfang der Abschlussarbeiten: Proseminararbeit 15 Seiten.

Ohne eine vorangegangene Kontaktaufnahme wird keine negative Note eingetragen.

Feedbackmöglichkeit wird angeboten.