Vorlesungs­verzeichnis

NdL: Theorien des literarischen Lesens

100122 KO 2022S

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Vortragende:

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

In seinem 1967 gehaltenen Vortrag mit dem Titel "Kybernetik und Gespenster" schreibt der italienische Autor Italo Calvino: „Nachdem der Prozeß der literarischen Komposition auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt worden ist, kommt der entscheidende Augenblick des literarischen Lebens – die Lektüre. In diesem Sinne wird die Literatur, auch wenn sie einer Maschine anvertraut wird, immer ein privilegierter Ort menschlichen Bewußtseins sein, eine Veräußerlichung der Potentialitäten, die im Zeichensystem jeder Gesellschaft und jeder Epoche enthalten sind: das Werk wird weiterhin im Kontakt mit dem lesenden Auge geboren, beurteilt, zerstört oder ständig erneuert werden;“
Angesichts ihrer zentralen Bedeutung für alle Beschäftigung mit Literatur spielt die Frage nach dem Lesen in der Literaturwissenschaft jedoch eine verschwindend geringe Rolle. Lesetheorien tauchen zwar immer wieder einmal in den philologischen Diskurslandschaften auf, haben aber kaum nachhaltige Wirkung für die Fächer. Die Komplexität des Gegenstandes und die Ignoranz der hermeneutischen wie antihermeneutischen, in jedem Fall aber autor- oder textzentrierten Literaturwissenschaften haben bezüglich der Frage nach dem Lesen literarischer Texte zu einer enorm fragmentierten Forschungslandschaft geführt. Bereits bestehende theoretische Überlegungen werden nicht zur Kenntnis genommen und schon gar nicht fortgesetzt, d.h., es gibt in der Literaturwissenschaft keine kohärente wissenschaftliche Debatte zu einem zentralen Aspekt des Faches. Das erschwert nicht zuletzt die Anschlussfähigkeit des Faches an die in anderen Disziplinen wie der Kognitionswissenschaft, der Psychologie oder der Pädagogik sehr intensiv betriebenen Leseforschung.
In dieser Lehrveranstaltung sollen klassische wie aktuelle Lesetheorien vorgestellt, diskutiert und bzgl. ihrer Anwendbarkeit überprüft werden. Dabei wird es u.a. um die theoretischen Ansätze von Wolfgang Iser, Umberto Eco, Stanley Fish, Rolf A. Zwaan, Lisa Zunshine, Marco Caracciolo und anderen gehen.

Die Lehrveranstaltung wird vorbehaltlich anderslautender behördlicher oder universitärer Anordnungen als Präsenz-Lehrveranstaltung durchgeführt.

 

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Regelmäßige Anwesenheit und aktive Mitarbeit
Referat
Protokoll einer Sitzung
Teilnahme an Sonderveranstaltung
Mündliche Abschlussprüfung

 

Literatur

Zur Einführung und Anschaffung empfohlen:
Strasen, Sven: Rezeptionstheorien. Literatur-, sprach- und kulturwissenschaftliche Ansätze und kulturelle Modelle. Trier: WVT 2008.

Primärliteratur:
Marlen Haushofer: Wir töten Stella. Berlin: Ullstein 2018 (= 9. Auflage).

Forschungsliteratur (Auswahl):
Calvino, Italo (1984): Kybernetik und Gespenster. Vortrag 1967.- In: ders. (1984): Kybernetik und Gespenster. Überlegungen zu Literatur und Gesellschaft.- München: Hanser, S. 7-26.
Carraciolo, Marco (2014): The Experientiality of Narrative. An Enactivist Approach. Berlin/Boston: de Gruyter.
Eco, Umberto (1987): Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. München, Wien: Hanser.
Fish, Stanley (1980): Is there a Text in this Class? The Authority of Interpretative Communities. Cambridge, MA, und London: Harvard University Press.
Gerrig, Richard J. (1993): Experiencing Narrative Worlds: On the Psychological Activities of Reading. New Haven et al.: Yale University Press.
Honold, Alexander; Parr, Rolf (Hg.) (2018): Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen. Berlin: De Gruyter.
Iser, Wolfgang (1975): Die Appellstruktur der Texte. In: Warning, Rainer (Hg.): Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis. München: Fink 1975, S. 228-252
Iser, Wolfgang (1984): Der Akt des Lesens. 2. durchgeseh. u. verbesserte Auflage. München: Fink.
Rosebrock, Cornelia (2020): Netzlektüre und Deep Reading: Entmischungen der Lesekultur. In: leseforum.ch. Online-Plattform für Literalität. URL: https://www.leseforum.ch/index.cfm (aufgerufen am 3.9.2020).
Zunshine, Lisa (2006): Why We Read Fiction: Theory of Mind and the Novel. Columbus: Ohio State University Press.
Zwaan, Rolf A. (1993): Aspects of Literary Comprehension. A Cognitive Approach. Amsterdam: Benjamins.

Weitere Literaturangaben in der Lehrveranstaltung.

 

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Die Leistungsfeststellung erfolgt über mehrere, auch während des Semesters zu erbringende Leistungen. Am Ende des Semesters steht eine mündliche Prüfung über die erarbeiteten Inhalte und die Semesterlektüre.

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen aus dem Angebot der SPL10 sind grundsätzlich anwesenheitspflichtig.

Erwartet wird die aktive Mitarbeit in den KO-Sitzungen. Dazu gehören
- die fristgerechte Lektüre der Pflichtliteratur,
- die aktive Beteiligung an Diskussionen und Gruppenarbeiten,
- ein Referat zu einem ausgewählten theoretischen Thema.
Den Abschluss der LV bildet eine mündliche Prüfung.

Am 8. April, 15-17h30 findet eine Präsentation aktueller Forschungsergebnisse zum digitalen Lesen mit der renommierten Leseforscherin Anne Mangen (Universität Stavanger) am Campus statt. Die Teilnahme an dieser Veranstaltung ist verpflichtend. Bitte merken Sie sich diesen Sondertermin vor!