Vorlesungs­verzeichnis

NdL: Innere Monologe

100076 PS 2023S

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Vortragende:

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Während des Fin de Siècle und des frühen 20. Jahrhunderts entsteht in den urbanen Zentren Europas eine innovative Erzähltechnik, die die unausgesprochenen Gedanken und Gemütsregungen einer Figur direkt und ebenso erratisch wiedergibt, wie sie ins Bewusstsein dringen. Im inneren Monolog (oder in der Monolognovelle) gehört die Bühne meist ausschließlich einem Ich, das ohne temporale Distanz, narrative Rahmung und jenseits einer auktorialen Perspektive in Erscheinung tritt. Obwohl Édouard Dujardin als der Erfinder dieser Experimentalform gilt und James Joyce ihr zum internationalen Ruhm verhalf, wird sie selten so konsequent durchgehalten und fesselnd ausgestaltet wie in Arthur Schnitzlers „Lieutenant Gustl“ (1900) und „Fräulein Else“ (1924). Im Zentrum des Seminars stehen jedoch nicht nur diese zwei Erzählungen. Vielmehr befassen wir uns zusätzlich auch mit der lange vergessenen österreichischen Autorin Else Jerusalem, die die Möglichkeiten der Monolognovelle bereits in „Venus am Kreuz“ (1899) für sich entdeckte.

Sich dem inneren Monolog zu widmen heißt, Schwellenkunde zu betreiben, denn die literaturwissenschaftliche Bestimmung des Verfahrens ist begrifflich wie gattungstheoretisch notorisch unscharf. Bislang überwiegen narratologische, psychoanalytische und intermediale Betrachtungsweisen. Dabei bieten die Analysen ein regelrechtes Arsenal an medientechnischen Metaphern auf. So wird der innere Monolog als „Gedankenphotographie“, „Partitur“, „Seelenphonograph“, „Plansequenz in der Subjektiven“ oder gar als „Gedankenlesemaschine“ charakterisiert, wohingegen die Figuren als „Echokammer“, „Membrane“, „Relaisschaltungen“ und „Aufnahmegeräte“ begriffen werden. Tatsächlich erweisen sich viele dieser Tropen als treffend und hilfreich für die Beschreibung von bestimmten Aspekten der Erzähltechnik. Überdies unterstreichen sie ihre enorme medientechnische Affinität und epochale Signatur. Augenfällig ist jedenfalls die Strahlkraft des maschinellen Paradigmas (Film, Phonograph, Telegrafie) und die Verortung des Verfahrens zwischen Hören und Sehen sowie Lesen und Schreiben. Ziel der Veranstaltung ist eine kulturhistorisch informierte und medientheoretisch differenzierte Diskussion des inneren Monologs und der daran gekoppelten modernen Subjektivitäten anhand dieser Metaphern. Zum Schaffen Else Jerusalems wird Kira Kaufmann einen Gastvortrag halten.

 

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Es handelt sich um eine theorie- und lektüreintensive Veranstaltung. Neben der regelmäßigen Anwesenheit (max. drei Fehltermine) wird eine aktive Beteiligung am Seminargespräch erwartet.

1. Statements
Als primäre Diskussionsgrundlage dienen vorab verfasste Statements zu mindestens fünf thematischen Einheiten im Umfang von max. einer A4 Seite, im Vorfeld der jeweiligen Sitzung hochgeladen werden sollen.

2. Expertise
Die Kontextualisierung der besprochenen Texte wird durch Expert*innen sichergestellt, die sich über Kernkonzepte sowie über theoretische und biographische Hintergründe informieren und kurze mündliche Inputs (ohne Handouts oder Folien) zum Seminargespräch beisteuern.

3. Verfassen einer Hausarbeit im Umfang von 15 Seiten (Haupttext). Frist der Einreichung: 30.09.2023

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen aus dem Angebot der SPL10 sind grundsätzlich anwesenheitspflichtig.

Schriftliche Beiträge aller Lehrveranstaltungstypen der SPL 10 können einer automatischen Plagiatsprüfung unterzogen werden; dazu zählen insbesondere Arbeiten der Pro-, Bachelor- und Masterseminarstufe, aber auch Lehrveranstaltungsprüfungen (z.B. Vorlesungsprüfung) und Teilprüfungen (z.B. Zwischentest, 'Hausübungen').

 

Literatur

Primärliteratur
Zur Anschaffung empfohlen:
Arthur Schnitzler (1900): Lieutenant Gustl. Novelle, Stuttgart: Reclam 2001 (Reclams UB 18156)
Arthur Schnitzler (1924): Fräulein Else. Novelle, Stuttgart: Reclam 2001 (Reclams UB 18156)

Im Moodle-Reader bereitgestellt:
Else Kotányi [Jerusalem] (1899): Venus am Kreuz. Drei Novellen, Leipzig: Georg Heinrich Meyer.
Arthur Schnitzler (1924): Über Psychoanalyse, in: Protokolle (2) 1976, S. 277-284.

Sekundärliteratur (Auswahl)
Im Moodle-Reader oder via u:search verfügbar
Mario Gomes (2008): Gedankenlesemaschinen. Modelle für eine Poetologie des Inneren Monologs. Freiburg i. Br.: Rombach.
Friedrich Kittler (1985): Aufschreibesysteme 1800/1900, München: Wilhelm Fink.
Annette Kliewer (2006): Else Jerusalem / Venus am Kreuz, in: Gudrun Loster-Schneider/Gaby Pailer (Hg.): Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730–1900). Tübingen: Francke, S. 234–235.
Christoph Jürgensen/Wolfgang Lukas/Michael Scheffel (Hg.) (2014): Schnitzler-Handbuch. Stuttgart: J.B. Metzler.
Barbara Lersch-Schumacher (1998): „Ich bin nicht mütterlich“. Zur Psychopoetik der Hysterie in Schnitzlers „Fräulein Else“, in: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Arthur Schnitzler. München: Edition Text + Kritik (138/139), S. 76–88.
Dagmar Lorenz (2007): Wiener Moderne. 2. Aufl., Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler.
Wolfgang Lukas/Ursula von Keitz (2017): ‚Stimme‘ und ‚Partitur‘: Zu Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“, in: Wolfgang Lukas/Michael Scheffel (Hg.): Textschicksale. Das Werk Arthur Schnitzlers im Kontext der Moderne. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 185–209.
Michael Niehaus (1994): Die Vorgeschichte des ‚inneren Monologs‘, in: Arcadia 29 (3), S. 225–239.
Evelyne Polt-Heinzl/Gisela Steinlechner (Hg.) (2006): Arthur Schnitzler. Affairen und Affekte. Wien: Christian Brandstätter Verlag.
Ursula Renner (2010): Lassen sich Gedanken sagen? Mimesis der inneren Rede in Arthur Schnitzlers „Lieutenant Gustl“, in: Sabine Schneider (Hg.): Die Grenzen des Sagbaren in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 31–52.
Bernhard Siegert (1993): Relais. Geschicke der Literatur als Epoche der Post 1751–1913. Berlin: Brinkmann & Bose.
Brigitte Spreitzer (2016): Else Jerusalem – eine Spurensuche, in: Else Jerusalem: Der heilige Skarabäus. Roman, hg. v. Brigitte Spreitzer. Wien: DVB Verlag, S. 545–608.
Felix Tweraser (2003): Schnitzler’s Turn to Prose Fiction. The Depiction of Consciousness in Selected Narratives, in: Dagmar Lorenz (Hg.): A Companion to the Works of Arthur Schnitzler. Rochester/NY: Camden House, S. 147-186.
Jochen Vogt (2014): Aspekte erzählender Prosa. Eine Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie, 11. Aufl., München: Fink.

 

Prüfungsstoff

Semesterstoff

 

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Um das Seminar zu absolvieren, muss jede einzelne Teilleistung (regelmäßige Teilnahme, aktive Mitarbeit, schriftliche Statements, Hausarbeit) erbracht werden. Für die Benotung ist aber die Hausarbeit maßgeblich.

Umfang der Abschlussarbeiten: Proseminararbeiten 15 Seiten Haupttext