Vorlesungs­verzeichnis

NdL: Gegenwartsliteratur: Vergangenheiten der Gegenwartsliteratur

100017 VO 2022W

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Vortragende:

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“ (William Faulkner) Vergangenheit konstituiert sich in der Perspektive und Wahrnehmung der Gegenwärtigen. Mögen auch Zeit und Ort des vergangenen Geschehens fixiert werden können, die Bedeutung und die Zusammenhänge des Geschehenen hängen von denen ab, die sich an es erinnern, die es bezeugen und dokumentieren. Es gibt nicht die Vergangenheit, sondern eine virtuell unendliche Vielzahl von Vergangenheiten, welche die Literatur vorführt und vergegenwärtigt. Spätestens seit dem Einsatz der Moderne stellt die Literatur Versionen des Vergangenen nebeneinander, die kein einheitliches Bild mehr ergeben, deren Widersprüche nicht mehr aufgelöst werden. Literarisch gespiegelte Geschichte verläuft nicht mehr kontinuierlich, in keinem kausalen Nacheinander. Die Brüche werden nicht verdeckt; es öffnen sich Leerstellen, Bereiche des Unerklärten und Unverfügbaren.
In Romanen und Erzählungen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur spielen die Zeit des Nationalsozialismus und deren anhaltende Nachwirkung nach wie vor eine entscheidende Rolle. Für die Literatur aus Österreich wird diese Nachwirkung besonders auch im Zusammenleben verschiedener Sprachgruppen akut, etwa in den Konflikten zwischen der deutsch- und slowenischsprachigen Bevölkerung in Kärnten und deren divergierenden historischen Gedächtnissen. In den Fokus der Literatur aus Österreich rückt außerdem der Jugoslawienkrieg. Einschneidende, oft traumatische Erfahrungen stehen aber auch in Verbindung mit der Geschichte des Kommunismus, wie sie vornehmlich von Autor*innen, die aus der ehemaligen DDR stammen, artikuliert werden.
Die literarische Auseinandersetzung mit solchen und weiteren historischen Themen wird in der Vorlesung anhand besonders markanter und komplexer Beispiele hauptsächlich aus der Erzählliteratur paradigmatisch vorgeführt. Für deren Analyse werden narratologische Methoden in Anschlag gebracht und interpretatorische Zugänge aus dem Feld der Psychoanalyse und der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung diskutiert. In gattungspoetologischer Sicht wird die Vorlesung Differenzen und Verflechtungen zwischen dokumentarischem Roman, historischem Roman, Generationenroman und (Auto-)Biographie erläutern.

 

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Schriftliche Prüfung über den Vorlesungsstoff vor Ort. Keine Hilfsmittel sind erlaubt.
Schriftliche Beiträge aller Lehrveranstaltungstypen der SPL 10 können einer automatischen Plagiatsprüfung unterzogen werden; dazu zählen insbesondere Arbeiten der Pro-, Bachelor- und Masterseminarstufe, aber auch Lehrveranstaltungsprüfungen (z.B. Vorlesungsprüfung) und Teilprüfungen (z.B. Zwischentest, 'Hausübungen').

 

Literatur

Elena Agazzi: Familienromane, Familiengeschichten und Generationenkonflikte. Überlegungen zu einem eindrucksvollen Phänomen. In: Fabrizio Cambi (Hg.): Gedächtnis und Identität. Die deutsche Literatur nach der Vereinigung. Würzburg 2008, S. 187–203.
Aleida Assmann: Erlebte, erinnerte und erzählte Geschichte. In: Axel Rüth und Michael Schwarze (Hg.): Erfahrung und Referenz. Erzählte Geschichte im 20. Jahrhundert. Paderborn 2016, S. 43–58.
Aleida Assmann, Karoline Jeftic und Friederike Wappler (Hg.): Rendezvous mit dem Realen. Die Spur des Traumas in den Künsten. (Erinnerungskulturen 4) Bielefeld 2014.
Stephanie Catani: Was bleibt von der Geschichte? Form und Funktion historischfiktionalen Erzählens im 21. Jahrhundert. In: Julia Schöll und Johanna Bohley (Hg.): Das erste Jahrzehnt. Narrative und Poetiken des 21. Jahrhunderts. Würzburg 2011, S. 23–35.
Ariane Eichenberg: Familie – Ich – Nation. Narrative Analysen zeitgenössischer Generationenromane. Göttingen 2009.
Friederike Eigler: Gedächtnis und Geschichte in Generationenromanen seit der Wende. Berlin 2005.
Robert Forkel: Erfahrung aus Narration. Erinnerungskulturelle Funktionen der Enkelliteratur. Phil. Diss. Halle-Wittenberg 2018.
Hans-Edwin Friedrich: Der historische Roman. Erkundung einer populären Gattung. (Beiträge zur Literatur und Literaturwissenschaft des 20. und 21. Jahrhundert 23) Frankfurt am Main [u. a.] 2013.
Daniel Fulda: Literarische Familienbiographien. Ein „kleiner, vorstellbarer Ausschnitt der unvorstellbar grausamen Geschichte“. In: Der Deutschunterricht 64 (2012) H. 2, S. 50–59.
Daniel Fulda und Stephan Jaeger in Zusammenarbeit mit Elena Agazzi (Hg.): Romanhaftes Erzählen von Geschichte. Vergegenwärtigte Vergangenheiten im beginnenden 21. Jahrhundert. Berlin/Boston: de Gruyter 2019.
Daniel Fulda und Stephan Jaeger: Einleitung. Romanhaftes Geschichtserzählen in einer erlebnisorientierten, enthierarchisierten und hybriden Geschichtskultur. In: Ders. und Stephan Jaeger in Zusammenarbeit mit Elena Agazzi (Hg.): Romanhaftes Erzählen von Geschichte. Vergegenwärtigte Vergangenheiten im beginnenden 21. Jahrhundert. Berlin/Boston: de Gruyter 2019, S. 1-56.
Hans Vilmar Geppert: Der historische Roman. Geschichte umerzählt – von Walter Scott bis zur Gegenwart. Tübingen 2009.
Katharina Gisbertz: Die andere Gegenwart. Zeitliche Interventionen in neueren Generationserzählungen. (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 391) Heidelberg 2018.
Andrew James Johnston und Kai Wiegandt: Introduction. In: Dies. (Hg.): The Return of the Historical Novel? Thinking about Fiction and History after Historiographic Metafiction. Heidelberg 2017, S. 9–18.
Christoph Leitgeb: Unheimliche Erinnerung – erinnerte Unheimlichkeit: Nationalsozialismus im literarischen Gedächtnis. München 2020.
Martin Neubauer: Frühere Verhältnisse. Geschichte und Geschichtsbewusstsein im Roman der Jahrtausendwende. (Wiener Arbeiten zur Literatur 22) Wien 2007.
Stefan Neuhaus: „Die Fremdheit ist ungeheuer“. Zur Rekonzeptionalisierung historischen Erzählens in der Gegenwartsliteratur. In: Carsten Gansel und Elisabeth Herrmann (Hg.): Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach 1989. (Deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Medien 10) Göttingen 2013, S. 23–36.
Paul Ricoeur: Zeit und Erzählung. Bd. 1–3. Übersetzt von Rainer Rochlitz und Andreas Knop (Bd. 3). München 1988–91 [französisch 1983–85].
Erik Schilling: Der historische Roman seit der Postmoderne. Umberto Eco und die deutsche Literatur. (Germanisch-romanische Monatsschrift. Beiheft 49) Heidelberg 2012.

 

Prüfungsstoff

Der Stoff der gesamten Vorlesung

 

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Von 7 Fragen müssen mindestens 4 richtig beantwortet werden bzw. muss bei teilweiser richtiger Beanwortung ein äquivalenter Wert erreicht werden.