Als Nachfolge der 1993 gegründeten Wiener interuniversitären Koordinationsstelle für feministische Forschung wurde im Zuge der Universitätsreform des Universitätsorganisationsgesetzes 93 das Projektzentrum Frauen- und Geschlechterforschung geschaffen, das zwei Jahre später mit dem Projektzentrum Frauenförderung als räumlich getrennte Organisationseinheit zum Zentrum für Frauenförderung und Genderforschung zusammengefasst und dem Vizerektorat für Personalangelegenheiten und Frauenförderung unterstellt wurde. Die Neustrukturierung der nunmehr autonomen Universität Wien wurde dazu genutzt, das Projektzentrum Genderforschung als eigenständiges Referat innerhalb der Organisationseinheit Studien- und Lehrwesen dem Vizerektorat für Lehre zuzuordnen.
In all diesen Jahren der Entwicklung waren auch VertreterInnen des Instituts für Germanistik auf unterschiedliche Weise involviert. Jetzt geht es darum, Ansätze der Gender Studies aktiv in der Forschungs- und Lehrtätigkeit des Instituts umzusetzen. Mit Gender Studies sind wissenschaftliche Fragestellungen und Untersuchungsperspektiven benannt, die für alle wissenschaftlichen Disziplinen und Fächer relevant sind. Insofern handelt es sich hierbei nicht um einen abzugrenzenden Arbeitsbereich, sondern um einen Zugang, der quer zu allen Forschungs- und Lehrgebieten, die am Institut für Germanistik vertreten sind, Anwendung finden soll.
1. Zentrale Arbeitsfelder
Gender Studies im Bereich der germanistischen Sprach- und Literaturwissenschaften erforschen die Repräsentation und Performanz der Geschlechterkonstruktion in Sprache und Literatur und untersuchen in einer inter- und transdisziplinären Perspektive Bild, Film, Theater, Musik, Kunst, Architektur und Medien. Gender Studies sind ein wichtiges Instrument, um den heteronormativen Bias der literatur- und sprachwissenschaftlichen Forschung in Frage zu stellen und das Repertoire germanistischer Arbeitsmethoden auf sehr produktive Weise zu ergänzen. Der Blick auf Genderkonstruktionen und -relationen ermöglicht die Analyse komplexer Macht-/Beziehungsstrukturen, wie sie in Texten re/produziert werden, und unterstützt zugleich Methoden der Relektüre dieser Texte. Zentral ist ein kritisches Hinterfragen des Wissens- und Methodenkanons der einzelnen Disziplinen unter der Genderperspektive.
2. Gesellschaftliche Aufgaben / Kooperationen
Gender Studies sind international einer der wichtigsten und produktivsten wissenschaftlichen Zugänge, der in Bezug auf Theoriebildung, Wissenschaftskritik und Analysemethoden eine Vielzahl wichtiger Impulse für die Forschung und bedeutende Erkenntnisse gebracht hat. Das gilt auch für den Bereich der germanistischen Sprach- und Literaturwissenschaft.
Das Ziel, Gender Studies stärker in Forschung und Lehre unseres Instituts zu verankern, wird der internationalen Bedeutung dieses Forschungsfeldes gerecht und erlaubt einen Anschluss an diese effektiven Diskurse. Es bedeutet zudem eine notwendige Öffnung des Faches und das Forcieren von Inter- und Transdisziplinarität, die wissenschaftliches Arbeiten heute wesentlich ausmachen. Schließlich unterstützt ein Gender-Studies-Schwerpunkt die angestrebte Verstärkung des Instituts im Bereich der Literaturtheorie.
Das große Interesse der Studierenden an Gender Studies
zeigt sich deutlich daran, wie stark das Angebot des interfakultären Studienschwerpunkts Gender Studies an der Universität Wien in Anspruch genommen wird. Daher besteht auch ein dringender Bedarf an Lehrangebot vor allem im Bereich von Seminaren und in der Folge an Betreuung von Diplomarbeiten und Dissertationen. Zudem sind für Lehramtsstudierende zwei Semesterwochenstunden Gender Studies optional vorgesehen: Es braucht also die entsprechenden Lehrveranstaltungen.
Eine Kooperation mit dem Projektzentrum Gender-Forschung
der Universität Wien, das diesen Studienschwerpunkt konzipiert hat, und mit den in diesem Bereich tätigen WissenschaftlerInnen erscheint hier als sinnvoll und führt mit Sicherheit zu einem gewinnbringenden Austausch. Die Wiener Germanistik hat auf diese Weise zugleich die Chance, sich gegenüber den anderen österreichischen Germanistikinstituten klar zu profilieren.
3. Unsere Geschichte
Analog der historischen Entwicklung der Gender Studies
wurden an diesem Institut seit den späten 1980er Jahren zunächst Lehrveranstaltungen aus dem Bereich der Frauenforschung und der feministischen Literaturwissenschaft angeboten. Diese Themen wurden in erster Linie durch externe Lektorinnen eingebracht. Zu einer institutionellen Verankerung und insofern kontinuierlichen Auseinandersetzung mit feministischer Theorie ist es dennoch nicht gekommen. Auch hinsichtlich der Forschungsarbeit wurde dieser Zugang nur von einzelnen WissenschaftlerInnen berücksichtigt. Selbst die große Bedeutung, die Gender Studies seit den 90er Jahren gewonnen haben und die sich in zahlreichen Einzelinitiativen, Forschungsprojekten, in Diplomarbeiten und Dissertationen spiegelt, führte bislang zu keiner klaren Akzentsetzung in Forschung und Lehre am Institut. Umso erfreulicher ist es nun, dass in der Gestaltung von Institutsprofil und Entwicklungsplan Gender Studies einen angemessenen Platz erhalten sollen.
4. Unsere Zukunft / Besonderheiten der Gender Studies in Wien
Mit der strukturellen und organisatorischen Etablierung
von Gender Studies am Institut für Germanistik der Universität Wien kann eine österreichweit bestehende Forschungslücke universitärer Germanistik ein Stück weit geschlossen werden. Während PrivatdozentInnen und externe LektorInnen ohne Zweifel hier bereits viel geleistet haben, fehlt deutlich die universitäre Verankerung von Gender Studies in der germanistischen Sprach- und Literaturwissenschaft. Raum und Budget müssen dafür zur Verfügung stehen.
Die Etablierung von Gender Studies als Schwerpunkt in Forschung und Lehre intensiviert die bestehende Zusammenarbeit mit anderen Instituten/Institutionen (wie etwa das Institut für Wissenschaft und Kunst, das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften und das Institut für die Wissenschaften vom Menschen) und eröffnet neue Kooperationsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Universität Wien. Dies stärkt österreichweit und international den Forschungsstandort Wien.